Schmuddelkind mit Modellcharakter

Theater der Zeit 1 Mar 2006German

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Es klingt wunderbar. Der Bund räumt in wirtschaftlichen Krisenzeiten zweistellige Millionenbeträge frei, um eine einzelne Kunstsparte über einen Zeitraum von fünf Jahren systematisch zu stärken. „Tanzplan Deutschland“ - der Titel der Initiative formuliert ihren hohen, ihren nationalen Anspruch. Die Bundeskulturstiftung (BKS) hat damit begonnen, ihn einzulösen: Die Entscheidungen in einem Hauptsegment, dem „Tanzplan vor Ort“, wurden Ende Januar getroffen. Die Städte Bremen, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt, Essen, Hamburg, München und Potsdam erhalten bis 2010 für ausgewählte Projekte - von neuen Studiengängen in Tanz und Choreografie bis zu soziokultureller Breitenarbeit - jeweils bis zu 1,2 Mio Euro Bundesmittel, gegenfinanziert durch Zuschüsse in gleicher Höhe von Stadt und/oder Bundesland sowie lokalen Stiftungen und anderen Drittmitteln. Gesondert entschieden wird über das Berliner Vorhaben eines hochschulübergreifenden Zentrums, das sich von Lehrplan und Inhalten an neu formiert und nach einem Übergangszuschuss der BKS 2007 den Stand der Dinge ein zweites Mal vorstellen soll.

Die allgemeine Begeisterung über den Tanzplan in der Presse ist einhellig. Und verständlich. Der Tanz kämpft (und kokettiert gelegentlich) mit seinem historisch gewachsenen Ruf als ars non grata und Schmuddelkind des institutionellen Kulturbetriebs. Doch tanzt er in vielen Spielarten zeitgenössischer Choreografie eben diesem Kulturbetrieb auch deshalb so subversiv auf der Nase herum, weil er sich ohne das Recht auf Teilhabe am Wirtschaftskreislauf der Hochkultur auf Strategien seiner Unterwanderung verlegt hat. Die weit verzweigten, international ausgerichteten Netzwerke, ein Experimentieren mit Aufführungsformaten, das Hinterfragen der „Leistung“ künstlerischer Produktion, ihrer Bedingungen und Machtverhältnisse zeugen davon. Zeitgenössischer Tanz sucht andere Orte als das Stadt- und Staatstheater und riskiert, indem er vom Denken in Sparten immer öfter grundsätzlich abrückt, dass man sein Recht auf Subventionierung als autonome Sparte nach der konventionellen kulturpolitischen Förderpraxis in Frage stellt. An diesem Punkt kann die öffentliche Hand sich entweder freuen und sparen oder umdenken. Oder: Man re-institutionalisiert, um dann wieder ordentlich subventionieren zu können.

Die Frage, was ein nationaler „Masterplan für den Tanz“ (Zitat BKS) bedeutet, stellt sich vor diesem Hintergrund. Der Tanzplan ist nicht einfach nur ein Geldsegen. Faktisch gewichtet hier ein fünfköpfiges Kuratorium (BKS-Direktorin Hortensia Völckers, Nele Hertling, Reinhild Hoffmann, Dr. Johannes Odenthal, Prof. Dr. Gerald Siegmund) die Kräfte einer ganzen Kunstszene neu. Dieser Vorgang ist beispiellos. Die komplementäre „Vor Ort“-Finanzierung bedeutet, dass die lokalen Förder-Potenziale der Städte auf fünf und mehr Jahre fokussiert und gebunden werden. Über das Wo und Wie entschied maßgeblich das BKS-Gremium, das die eingereichten Vorschläge auf ihren „Modellcharakter“ hin prüfte und, wie es auf der Berliner Pressekonferenz hieß, gezielt Einfluss auf ihre Richtung nahm. Von der Münchner Bewerbung ist nur ein Baustein übrig. Leipzig, das die internationale Wahrnehmung seiner Malerschule aufgreifen wollte, um Projekte im Grenzgebiet von Bildender Kunst und Choreografie zu entwickeln, bekam eine Absage als nicht modellhaft genug. Nun sind Potsdam und Dresden die einzigen ostdeutschen Tanzplan-Städte. Auf der Pressekonferenz begründete man gescheiterte Bewerbungen vor allem mit ungenügendem Entgegenkommen seitens der Städte und hielt sich ansonsten, was abgelehnte Anträge betrifft, bedeckt. Die BKS nennt ihren Tanz-Masterplan ein „Instrument zur Verbesserung der öffentlichen und kulturpolitischen Akzeptanz des zeitgenössischen Tanzes in Deutschland“. Ein Instrument ist der Tanzplan ganz sicher. Nur wer es sich zu eigen machen kann, bleibt abzuwarten.