Die Architektur der Atmosphären

Die Choreografin Amanda Miller setzt mit pretty ugly tanz köln neu an und variiert ihre alten Motive

Theater der Zeit 1 Jan 2006German

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Seit März wird in Köln, zehn Jahre nach der Einsparung des Tanz-Forums von Jochen Ulrich, wieder getanzt und zwar „pretty ugly“. Amanda Miller hat ihre Company von Freiburg umgesiedelt. Nach Wiederaufnahmen vor der Sommerpause eröffnete sie die neue Spielzeit mit ihrer ersten Kölner Kreation für die Städtischen Bühnen und unterstrich, warum ihre Atmosphären-Ballette ein Glücksfall für das Stadttheater sind.

Was man lange vor der ersten Vorstellung schon staunend das Tanzwunder von Köln nannte, nämlich die erfolgreiche Bindung der Choreografin Amanda Miller und ihrer Company Pretty Ugly an die Städtischen Bühnen der Domstadt, verdankt sich dem Zusammentreffen eines glücklichen mit einem weniger glücklichen Umstand. Beide haben mit Finanzen zu tun. Freiburg, wo Miller seit 1997 per Kooperationsvertrag am Stadttheater residierte, wollte dem Ballett Freiburg Pretty Ugly unter der neuen Intendantin Amélie Niermeyer ab Sommer 2004 nicht mehr die Räume der Selbstbestimmtheit frei halten, die ihm eigene Gastspiele und weltweite Tourneen sowie ein frei verwaltetes Budget garantiert hatten. Zur gleichen Zeit erntete der KunstSalon, ein Zusammenschluss reger Kulturliebhaber in Köln, die Früchte von zehn Jahren Lobbyarbeit für den Tanz. Mit einem eigenen Beitrag, Mitteln der Imhoff-Stiftung der Firma Stollwerck und der Zusage des Kölner Intendanten Peter F. Raddatz, knapp die Hälfte des Jahresetats der dritten Sparte beizusteuern, konnte man Amanda Miller genau in diesem Moment das Angebot machen, das sie nicht ablehnte.

In der Wiedergeburt des Ballett Freiburg Pretty Ugly als pretty ugly tanz köln spiegelt sich eine breite Neupositionierung des Tanzes zum klassischen Dreispartenbetrieb wieder. Theaterleiter Hans J. Ammann nahm damals in Freiburg mit seiner Initiative für eine feste freie Tanzsparte etwas vorweg, das heute für Choreografen zur ernsthaften Alternative geworden ist, wenn sie den Stadttheatern eigentlich frustriert den Rücken kehren wollen. Allerdings ist die Verantwortung, die Intendanten für solche Lösungen auf gleicher Augenhöhe zu übernehmen bereit sind, nicht nur in Freiburg merklich zurückgegangen. An ihrer Stelle engagieren sich eher Städte, Länder, Bund und vor allem Stiftungen und Freundeskreise. Träger der neuen Forsythe Company ist ein solcher „Verein der Freunde“, der ein Viertel des Gesamtetats erwirtschaften muss. Im Fall von Sasha Waltz folgte dem Ausscheiden aus der Leitung der Berliner Schaubühne erst eine Kooperationsvereinbarung mit dem Theater bis 2006 in von Bundesgeldern mitfinanzierter Selbständigkeit. Doch auch diese wird unter Umständen von der Choreografin endgültig gelöst, weil ihrer Ansicht nach Thomas Ostermeier die künstlerische Bedeutung ihrer Arbeit für sein Haus weder inhaltlich noch finanziell angemessen anerkennt. In Köln ist alles ein bisschen anders: Amanda Millers Manager Uwe Möller und sie selbst sind die Gesellschafter einer zwar dem Theater angeschlossenen, aber selbstverantwortlichen GmbH.

Bei der ersten Miller-Premiere im Mai waren bei einem Publikum aus Liebhabern aller Altersstufen Erleichterung, Neugier und auch Stolz auf den Erfolg der eigenen Bemühungen zu spüren. Dem, was sie im Schauspielhaus erwartete, würden sie einen großen Sympathievorschuss zu geben bereit sein. Allein, weil wieder getanzt wird in Köln. „Oberon’s Flower – Who do you love?“ ist die Neufassung einer Freiburger Bearbeitung von Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, die ihrerseits auf ein großes Ballett für 29 Tänzer des Ballet du Grand Théatre des Genève von 2001 zurückgeht. Keine Entscheidung für Aktualität, sondern eine für taktische Klugheit. So wie das Kölner Publikum die Augen mit dem größtmöglichen Wohlwollen weit aufsperrte, überreichte ihm Amanda Miller mit größtmöglicher Behutsamkeit eine ihrer sanftesten, zugänglichsten Tanzlandschaften. Motive und Figuren des Dramas haben darin nur als Andeutung Platz, so vage, aber auch so präzise gesetzt wie die Tuschetupfer eines japanisch anmutenden Horizontes, der gegen Ende mitten im imaginären Wald über der leeren, weißen Bühne in der Luft hängt. Kate Strong als Sprecherin rezitiert dagegen Shakespeare wortkonkret, mal hauchig, mal sonor. Immer wieder ergeben sich zwischen Text und Tanz Übergriffe und Koinzidenzen. Doch sobald man sie fassen will, sind sie schon fortgehuscht. Zwischen Papierblumen und der Kralle eines stilisierten toten Baumes, zwischen Flügelchen aus Gaze und sphärisch elektronischem Soundgeflimmer treibt der Liebes- und Verwechslungsreigen dahin.

Tänzerisch ist die Company, die seit März in vorübergehender Zusammensetzung zu Acht trainierte, ehe sie in die aktuelle Spielzeit in endgültiger zehnköpfiger Aufstellung starten konnte, zu diesem Zeitpunkt noch nicht hundertprozentig eingespielt. Klar unterscheidet sich das fließende Understatement von Flavia Tabarrini oder Rick Kam, die schon zum Ballett Freiburg gehörten, von den zum Teil sehr jungen Neuzugängen: dem robusten Mädchenduktus von Paola Casarini als Puck. Oder dem endlos langen Alan Oe Yen, dessen schlaksiger Bewegungspragmatismus aus seiner so ganz anderen Erfahrung mit Choreografen wie Hooman Sharifi oder Anthony Rizzi keinen Hehl macht. Solche Lesarten geben, gerade weil sie aus dem allgemeinen Flow herausfallen, dem virtuosen Loungeballett nicht zu seinem Nachteil Ecken und Kanten.

Einen „Schlenker- und Schlotterstil“ hat eine Instanz der deutschen Ballettkritik, Horst Koegler, Amanda Millers Handschrift einmal genannt und damit auf ihre Interpretation von Spannung angespielt, die auf den ersten Blick einfach nur leger aussieht. Dass sie wichtigen Input beim Ballett Frankfurt bekam, wo sie ab 1984 erst Tänzerin, dann Hauschoreografin war, hört sie nicht gern, weil sie allzu oft auf Bill Forsythe als Übervater reduziert worden ist. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass die beiden ein wichtiges Stück Weg gemeinsam gegangen sind. Die rechten Winkel des Balletts bilden auch bei Miller das Grundgerüst, das sie durchkreuzt, überzeichnet, polyzentrisch zersplittert und durch Anleihen bei der Release-Technik so charakteristisch geschmeidig gemacht hat. Doch der intellektuelle Anspruch, mit dem Forsythe seine choreografische Arbeit auch als mathematische oder philosophische Reflexion betrieb, um sie systematisch zu verdichteten, hat sie nie gereizt. Amanda Miller ist eine Tanz-Gläubige im doppelt klassischen Sinn. „It’s a ballet“, sagt sie deshalb nach der „Oberon“-Premiere etwas pikiert auf die Frage nach dem Stück, das im Herbst als erste Uraufführung folgen soll. „Ich mache keine Stücke, sondern Ballette. Stück ist ein Begriff aus dem Schauspiel und viel zu grob für meine Arbeit.“ Mit der Choreografin über diese Arbeit zu sprechen, ist heikel, weil die introvertierte 44-Jährige keinen Hehl daraus macht, dass sie das für überflüssig hält: „Tanz funktioniert wie bestimmte Heilmethoden oder wie Folklore. Diese Dinge können nur über ihre körperliche Erfahrbarkeit übersetzt werden.“ Weshalb sie sich ihren Förderern vom KunstSalon zuallererst tanzend vorgestellt hat. Mit „Paralipomena“, einem Solo von 1996 aus den Ideenüberschüssen und Bewegungsrestbeständen alter Choreografien. Es gehört mittlerweile zum neuen Repertoire.

So genau sie ihre Ornamente mit einer geschmackvoll austarierten Balance aus Anmut und Schlichtheit aus den Tänzern heraus treibt, so leichtfertig wirken die Allgemeinplätze, die sie in Interviews manchmal dafür findet. Dann propagiert sie, dass man dem Körper absolut vertrauen müsse. Oder sie nennt ihre Kunst vollkommen transparent, obwohl ihre Erzählweise ständig poetisch verrätselt, verschlüsselt, mystifiziert. Allerdings hegt Amanda Miller keinen Übersetzerehrgeiz. Vielmehr hängt sie dem Traum vom Theater als magischem Ort, als Erzeuger verlockender Imaginationen nach und umgeht es dabei professionell, allzu lieblich zu werden. Das macht ihre lichten Ballette zu einem Glücksfall für das Stadttheater. Handwerklich lückenlos gebaut, lassen sie dem Tanz die in sich gekehrte Unschuld, die Theatermacher am meisten rührt. Sie sind stark im Unbestimmten, dem auf den Punkt genauen Entwerfen atmosphärischer Architekturen. Im konkreten Requisit und einzelnen Tanzschritt verweigern sie dafür jede Verbindlichkeit, die über die schöne Kunstwelt hinaus oder auf den Bauplan ihrer Illusionen hinweisen könnte. Sie fordern dem Zuschauer nicht wenig Konzentration dabei ab, sich in ihren weiten Räumen zwischen wie beim Spielen im Kinderzimmer verstreuten Dingen und Zeichen zu Recht zu finden. Und sie bleiben: Ballette, die den Anschein organischer Mühelosigkeit unter höchster technischer Anstrengung erzeugen. Streng, kunstvoll und einigermaßen selbstverliebt.

„Ich bin bis heute eine klassische Balletttänzerin. Aber es geht mir nicht um Form. Wirklich klassischer Tanz bedeutet Musikalität, ein bestimmtes Verständnis für den Körper und absolute tänzerische Präzision. Erst sie erlaubt die Transformation des Körpers.“ Wenn sie über das Ballett spricht, wird Amanda Miller plötzlich – präzise. In „For Four Nothing“ (1997), einem ihrer größten Erfolge, hat sie sich mit den verschiedenen Aggregatzuständen der klassischen Technik in ihrem eigenen Stil auseinandergesetzt und dazwischen freie Assoziationen über die Sehnsucht nach Erhöhung von der Architekturgeschichte bis in die Raumfahrt geschnitten. Auch das zeichnet Miller-Ballette aus: ein freimütiger Eklektizismus. Besonders asiatische und fernöstliche Impulse nimmt er begierig auf, konfrontiert die ästhetische Strenge von Anleihen aus dem Nô-Theater mit dem grellen Gewimmel von Manga-Cartoons, collagiert Pop mit Meditation.

Anfang Oktober konnte man sich davon überzeugen, dass Amanda Miller mit pretty ugly tanz köln zwar neu ansetzt, aber gar nicht daran denkt, Neuheiten übers Knie zu brechen. „Signs on Fire“ variiert Motive von Selbst- und Fremdbestimmtheit, Freiheit und Gebundenheit und einmal mehr: Traum und Realität. Ein riesiges Metallskelett richtet sich langsam auf. Vorne an der Rampe hat es ein paar winzige Widergänger aus Papier, denn Kleist und das Marionettentheater haben ihre Finger im Spiel. Im Programmheft heißt es, eine Marionette namens „Monomane“ wolle die menschlichen Sinne entdecken. Aber Programmhefte sollte man bei Amanda Miller lieber nicht lesen. Auf dem Papier sind ihre Aussagen über Herz, Seele und die Macht der Innerlichkeit auf dem Weg zum Glück, die im Theater eine so schmeichelhafte Überzeugungskraft entwickeln, wirklich überflüssig.