Nichts Drittes, nirgends

Das Festival In Transit 04 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin

Die Welt 1 Jun 2004German

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Der Kulturbetrieb gehört zu den wenigen Nischen, in denen die Gesetze des „Product-Placements“ noch nicht mit gleicher Härte gelten. Doch der Erfolgsdruck nimmt in dem Maß zu wie die Staatssubventionen schmelzen. Der Trend geht zur Marke, und längst klebt der knallige „Neu! Neu!“-Button auch auf Kunst, die mit Dr. Best um die Wette strahlt, weil sie schneller, besser, porentief revolutionärer ist als alles je zuvor Gesehene.

Das Berliner Haus der Kulturen der Welt fährt eine Werbestrategie der Superlative, seit es 2002 das erste In Transit Festival herausbrachte. Einerseits wurde der offene Laborcharakter dieser Kontaktbörse zwischen westlichen und nichtwestlichen Künstlern unterstrichen. Gleichzeitig gab man sich das Etikett eines völlig neuartigen Festival-Typus, der nicht weniger als eine Neudefinition zeitgenössischer Performing Arts in Aussicht stellte. Und weil hinter jeder neuartigen Zahnpasta ein Facharzt und hinter jedem neuartigen Hundefutter ein erfolgreicher Züchter steht, beschloss man bei In Transit, die Neuartigkeit seiner Kunst mit selbst verbürgten Theorien zu untermauern. Nimmt man die jedoch beim anspruchsvollen Wort, kann man unangenehme Überraschungen erleben.

Dabei war In Transit 04 kein schlechter Jahrgang. Alejandro Ahmed, seit dem Auftritt beim brasilianischen Tanzfestival Move Berlim letztes Jahr hierzulande ein Begriff, zeigte mit seiner Compagnie Cena 11 eine Studie über die Auflösung der klassischen Beziehung von Subjekt und Objekt. Seine Tänzer katapultiert er in „Procedimento 01“ mit brachialem Körpereinsatz in Momente der Intimität und Freiheit, wo im Duett, zwischen zartem Auffangen und hartem Aufprall alles für Sekunden zu schweben beginnt. Walid Raad von der Atlas Group mit Sitz in Beirut und New York nutzte Archivbestände des Kollektivs in einer Lecture Performance. Was als Aufarbeitung von Autobombenattentaten von 1975 bis 1991 begann, gehört heute zu den wichtigsten künstlerischen Statements zu terroristischen Eingriffen in das tägliche Leben im Nahen Osten. Raads wuchernd ausufernde Faktensammlung erstreckt sich über Biografien politischer Drahtzieher, ausgebombter Ladenbesitzer, getöteter Passanten. Sie erfasst die Kraterformen nach der Explosion und die Marken der bestückten Fahrzeuge. Und sie liefert nichts weniger als Erklärungen und Schlussfolgerungen, sondern überzieht das reale Geschehen mit einem Netz aus Information, das sich bis zur Unkenntlichkeit verdichtet.

Vom Auftritt des indonesischen Tänzerchoreografen Mugiyono Kasido bis zur Uraufführung „Jue“, dem emotionalen Duett der Solistin der Beijing Modern Dance Company, Gaoyan Jinzi, mit ihrer Mutter, fanden sich Positionsbestimmungen zwischen nationaler Tradition und globalisierter Zeitgenossenschaft, die für sich stehen - könnten. Wäre da nur nicht „The Third Body“. Hauskurator Johannes Odenthal und sein Partner für dieses und das nächste Jahr, Koffi Kôkô, wollen ihr Motto im Dritte-Welt-Wortspiel auf einen dritten Weg zwischen Physis und Sozialisierung, biologischer und kultureller Körperlichkeit, nämlich den „nicht möglichen Körper“ im Prozess der „Transformation“ verweisen sehen. Doch wer als Gewährsleute für dieses Konzept die kanadischen Hightech-Schaumschläger von 4D art anführt, disqualifiziert es selbst zur Floskel. „Anima“ artikuliert nichts außer teuren holografischen Effekten und lässt den Menschen und sein Double artig ein paar Kunststücke vorführen. Da ist nichts Drittes, nirgends. Bei In Transit sollte man sich dringend ein paar Gedanken machen: über den Sinn und Unsinn von Theorie und den Seriositätsanspruch der eigenen Gedankengebäude.