Schnipsel von Erzählung

"Your Made Me A Monster" beim Tanz in August

Berliner Morgenpost 1 Aug 2005German

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Welche Gestalt hat die Trauer? Geht sie aufrecht? Gebückt? Ist ihr Wesen Beherrschung, Ausbruch, zieht sie sich zurück oder wuchert sie wie – ein Krebsgeschwür? „You Made Me A Monster“ ist Trauerarbeit aus dem Abstand von Jahren heraus. Ein bestürzendes Stück. Offen angelegt und hermetisch erzählt, privat und vertraulich auf den ersten Blick, ein mächtiges Requiem auf den zweiten.

Die erste Frau des Choreografen William Forsythe starb Anfang der neunziger Jahre an Knochenkrebs. Eine unaufdringlich, aber unaufhörlich über eine Projektionsleinwand laufende Textzeile erzählt davon: von den Blutungen und Schmerzen, vom Unvermögen der Ärzte und der panischen Unwissenheit. Schemenhaft entsteht das Bild einer Person, ihres Wesens als Tänzerin, und mündet in ein unerhörtes Souvenir. Zu Weihnachten, zwei Monate vor ihrem Tod, schenken Freunde der Kranken einen Papierbastelsatz für ein menschliches Skelett. Ihr Mann wird daraus viel später frei Hand etwas zusammenfügen, das er „ein Modell der Trauer“ nennt. Es wurde der Ausgangspunkt für „You Made Me A Monster“.

Abenteuerliche, kristalline Papparchitekturen stehen und weitere Knochenbastelbögen liegen auf Tischen zum An- und Umbau bereit. Dazwischen dürfen sich auf der Bühne im Haus der Berliner Festspiele die Zuschauer frei bewegen und mit ihnen die Tänzer David Kern, Nicole Peisl und Christopher Roman.

„You Made Me A Monster“ meidet Eindeutigkeit. Der Tanz schlingt sich eine knappe Stunde spiralartig um sich selbst, bricht hervor und in sich zusammen. Mal scheinen die Körper sich selbst zu fressen, dann wieder legen sie sachte unterstützend Hand an sich. Spastisch zerfällt der Fluss, Gelenke kugeln rastlos, die Extremitäten verkrampfen in extremen Winkeln. Die Tänzer zeichnen ein geometrisches Gebilde, so verkehrt und monströs schön wie die Knochenwesen, die durch die fleißigen Hände der Zuschauer weiter wachsen. Mit der Zeit steigt nämlich das Bedürfnis, sich an etwas festzuhalten, und sei es ein Schlüsselbein aus Papier. Man knifft und faltet und liest Schnipsel von Erzählung von der Leinwand auf, während vorne vor drei Pulten die Tänzer feine Zeichnungen der Knochengebäude vom Blatt vertanzen und mit elektronisch verfremdeten Stimmen vertonen. Keines dieser Elemente dängt in den Vordergrund. Ein Raum entsteht, der dem maßlosen Gefühl von Furcht, Leere, Trauer auf düster verspielte und doch essentielle Weise hörbare, lesbare, sichtbare und fassbare Formen gibt. Weil der Mensch aus dem Nichts eben doch erst ein Etwas machen muss, um ihm ins Gesicht schauen zu können.