Dear Sir

An open letter to Professor Elberfeld

14 Nov 2003German

item doc

Contextual note
I wrote this letter to Prof. Elberfeld, of Wuppertal University, in the aftermath of a fierce debate held at the Vienna Tanzquartier. There, I had given a lecture on "Ballett/Exotik oder Wo ist die Kunst hinter der Form" (as part of the conference Tanz Anders Wo, organised jointly by the Tanzquartier and Germany's Gesellschaft für Tanzforschung between 6 and 9 november, 2003). Prof. Elberfeld disputed my references to philosphers and authors like Hegel, Gadamer, or Meister Eckhart, and suggested I should "just write criticism". I wanted this letter to be published along with my manuscript in the forthcoming "Jahrbuch Tanzforschung 14". The editorial committee, however, opted against publication. I therefore propose the text on this platform, for which I am grateful, as I think the debate hints at crucial issues in Germany's dance discourse these days.

Herrn Professor

Dr. Rolf Elberfeld

Universität Wuppertal

per email

Berlin, den 14. November 2003

Sehr geehrter Herr Professor Elberfeld,

im Nachhall meiner Ausführungen am letzten Vormittag der Wiener GTF-Tagung und Ihrer an diesen Überlegungen formulierten Kritik ist es mir ein Bedürfnis, einige Gedanken nachzutragen, die ich für wichtig halte. In der Tagungssituation kam mir Ihr Angriff zu unvermittelt, weswegen ich meine Positionen nicht wirklich habe verteidigen können.

Natürlich und zurecht werden Sie nicht ernsthaft erwarten, daß ich mich in einen ungleichen Kampf stürze und mit Ihnen über philosophische Grundbegriffe disputiere. Das wäre unangemessen und lächerlich. Im übrigen haben Sie den Sieg ja schon davongetragen und – wohl nicht nur in eigenem, sondern auch im Sinne zahlreicher anderer Hörer – meine Darlegungen aufgerieben. Das war zwar nicht schwer, dennoch gebührt Ihnen für die wirkungsvolle Art Ihrer Intervention Anerkennung.

Gleichwohl sei mir gestattet, meinem Befremden darüber Ausdruck zu geben, daß es offenbar nicht zulässig sein soll, angesichts einer künstlerischen Praxis, die doch offenkundig eigene Ordnungen beansprucht und beanspruchen darf, wenigstens versuchsweise auch andere Rezeptions- und Argumentationsmuster zu entwerfen. Daß es nicht verstattet sein sollte, sich auf dem Wege dieser Annäherung an ein spezifisches Verständnis von Tanz auf Äußerungen wichtiger Autoren der Geistes- und Kulturgeschichte zu berufen, leuchtet mir dabei am wenigsten ein.

Gleichfalls versetzt es mich in Erstaunen, daß Sie mir im Pausengespräch nach der Veranstaltung nahelegten, doch “einfach Kritiken zu schreiben”, anstatt sie auch noch erklären zu wollen. Ich hatte bisher immer gedacht und bleibe auch bei dieser Überzeugung, daß gerade die Praxis des Kritikers, sofern man eine Glaubwürdigkeit dem Gegenstand gegenüber bewahren möchte, ein ganz erhebliches Maß an Selbstreflexion und Rechenschaftslegung über die eigene Tätigkeit erfordert. Genau in dem Maße übrigens, wie auch der Tanz in seinen zeitgenössischen Formen sich dadurch auszeichnet, seine Entstehungsbedingungen, seine sozialen, kulturellen, ästhetischen Einbindungen mit zu reflektieren und eben gerade nicht auf schlichte Eingängigkeit zu setzen.

Ich jedenfalls werde mich von meinem Vorhaben nicht abbringen lassen, den Tanz als System der Bedeutungsproduktion weiterhin ernst zu nehmen und seine spezifischen Mitteilungsformen im Wechselspiel aus Subjektivität, Wahrnehmungslenkung und Geschichtlichkeit am konkreten Gegenstand, d. h. an der Choreographie und an der tänzerischen Entäußerung, zu messen und meine Maßstäbe, meine Kriterien, meine Vorlieben an das Werk anzupassen, anstatt umgekehrt im Sinne eines Tanzfundamentalismus zu versuchen, tänzerische Erscheinungsformen nach einem vorgefaßten System (der Kritik, des Geschmacks ...) zu bemessen.

Sie mögen auch im Namen jener Fraktion gesprochen haben, die dem Tanz bestimmte Arten und Weisen der Selbstartikulation zugestehen oder versagen will. In diesem Sinne mußten meine Ausführungen schon im Grundsatz und vom Ansatz her widerstreben. Den Ausführungen Ihres Eröffnungsvortrages entnehme ich zudem, daß sie den Tanz in gleichsam essentialistischer Weise über eine vom Ereignis abgelöste Sinnesqualität zu definieren anstreben, welche zur künstlerischen Absicht in einer Art perzeptorischem Kontingenzverhältnis steht. Ich persönlich strebe es statt dessen an, den Werken der Choreographen im Wortsinne zu lauschen, oder, wie ich es ja auch in meinem Vortrag formuliert habe: Ich möchte gegenüber dem Tanz “die Geduld haben, den unterschiedlichen oder verworrenen Bedeutungen dieser Begriffe, die wir uns machen/machen wollen, den Bedeutungen also als den zu ihnen gehörenden Körpern so lange zuzuhören und sich ihnen so lange auszusetzen, bis man ihnen ihre augenblickliche Wahrheit im Moment der Aufführung ablauschen kann.”

Zweifellos ist dies kein hoheitlich legitimiertes Unterfangen, sondern eine immer umstrittene, oft mühsame, weithin uninspirierende, in manchen Fällen aber – und um derentwillen lohnt sich das gesamte Tun – begeisternde Tätigkeit. Preiswürdig ist sie allerdings nicht. Trotzdem werde ich Ihrer Empfehlung nicht folgen, “einfach nur Kritiken” zu schreiben. Denn so einfach ist der Tanz nun einmal nicht, was Ihnen in Erinnerung zu rufen sicherlich unnötig sein wird. Einfach ist es immer nur, Verrisse zu schreiben. Ihr Punkt, sehr geehrter Herr Professor Elberfeld, war daher leicht gewonnen.

Mit freundlichem Gruß

Ihr

facramer