Bewegung ja oder nein. Zwei Arbeiten des Choreografen Felix Ruckert

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Berlin 25 Apr 2000German

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„Seit kurzem bin ich fasziniert von Seilen und Schnüren. Jahrelang habe ich für Menschen Tanzbewegungen entworfen, jetzt möchte ich lieber Bewegung verhindern: Ich verschnüre die Tänzer, verberge sie, verhülle sie.“ Felix Ruckert, der Tanz-Inszenierer mit den widersetzlichen Ideen, hat sich mit dieser Programmatik einem derzeit aktuellen Thema im zeitgenössischen Tanzgeschehen gewidmet: künstlerische Fesselspiele, choreografische Bewegungsverhinderung, unsichtbarer Tanz. Zwei Ergebnisse seiner diesbezüglichen Recherchen stellte Ruckert am Osterwochenende in der Hinterhof-Spielstätte Dock 11 dem Berliner Publikum vor: die Tanzinstallation „Stillen“ für sieben „gefesselte Tänzerinnen und Tänzer“ sowie „Sbalit“, eine Arbeit für die Prager Tanzkompanie Domino, die, vergangenen Herbst uraufgeführt, nun als Gastspiel zu sehen war.

Beide Stücke sind parallel entstanden und haben sich daher wechselseitig inspiriert, verwenden auch teilweise dieselben Ingredienzien: breite Tücher und Stoffbahnen, mehrfach gekordelte, weiße Schnüre und Seile, lasziv-träge Bluesmusik. „Stillen“ zeigt eine Stunde lang menschliche Gestalten fragil im Raum hängen und lagern: Mit weißen, breiten Tüchern und Laken eingewickelt wie komatöse Patienten in reizarmer Umgebung oder wie eine verhedderte Marionette an den Gliedmaßen baumelnd, als rituelle Opferfigur nackt auf einem großen Tisch arrangiert oder skulptural wie Quellnymphen auf einem Sarkophag drapiert. Erst allmählich erkennt man fast erleichtert trotz aller Reglosigkeit kleine Dehnbewegungen und räkelnde Bequemlichkeitsgesten. Das Ganze ist, in warmem Gelb sanft ausgeleuchtet, auf beredte Schattenwirkung kalkuliert und strahlt große Verletzlichkeit und Zartheit aus, während durch die Aufhängung das Gewicht des Körpers fast schmerzlich sichtbar wird.

Ganz so radikal ist Ruckerts Stück „Sbalit“ – tschechisch für verpacken, verschnüren, ein Paar bilden – nicht; dafür will es den bloß visuellen Reiz der Stillstellung und Lahmlegung um eine metaphorische Dimension erweitern. Denn laut Ruckert können Fesseln und Seile auch für die lähmende Unbeweglichkeit seelischer Bequemlichkeit, für die emotionale Massenträgheit des Menschen stehen. So ist „Sbalit“ zwar eine Studie über alle möglichen Formen der Bewegungseinschränkung und der Phlegmatik, aber die fünf schwarzgekleideten Akteure verstehen sich physisch durchaus zu bewegen. Nur hat der Tanz in einem solchen Kontext der Antriebs-Erlahmung etwas zutiefst Verstörendes – weswegen im choreografischen Ablauf auch diejenigen, die gerade nicht tanzen, immer versuchen, den vom Tanzfieber gepackten wie eine entlaufene Kuh wieder zu bändigen und einzufangen. Und während man auf einem Videomonitor treudoofe Liebespaare in glücklicher Umarmung sieht, schlägt ein freundlicher Akteur dicht vor den Zuschauerreihen einer Kollegin vor: „Sprechen wir über Unbeweglichkeit.“ Die blickt ihn schläfrig an und erwidert: „Dazu kann ich eigentlich gar nichts sagen. Schließlich bin ich Tänzerin.“ Die drei anderen zerren sich derweil gegenseitig als müde Gliederpuppe durch den Raum. Denn wer tanzt wird selig, wer nicht tanzt ist auch beweglich.