Körper fliegen wie Geschosse durch die Luft

LaLaLa Human Steps mit „2“

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Der Titel hat es in sich. Sowohl das Organisationsprinzip des Abends als auch die beiden Grundbewegungen, die die acht Tänzer und Tänzerinnen der kanadischen Truppe La La La Human Steps immer wieder ausführen. Was sich so schlicht und prosaisch als "2" ankündigt und jetzt im Frankfurter Opernhaus zu sehen war, verrät ebenso eine Ordnung der Verdoppelung in einer Reihe von Pas de deux oder doppelten Pas de trois wie den horizontalen Sprung und den gedrehten Schwung, aus der die Ziffer "2" zusammensetzt ist. "2" ist eine Chiffre. Auch für die Dualität von Leben und Tod, die den Abend thematisch zusammenhält. In seiner jüngsten Produktion läßt der Choreograph Edouard Lock seinen futuristischen Flugtanz und sein ballistisches Ballett, in dem die Körper von Männer und Frauen gleichermaßen als Wurfgeschosse durch die Luft geschleudert wurden, auf dem Boden der Tatsachen. Louise Lecavalier, immer noch blondes Aushängeschild der Gruppe, zieht ihrem Partner das Jacket mit den Zähnen aus und legt sich darauf schlafen. Immer wieder bleiben Tänzer oder Tänzerinnen einfach auf dem Rücken liegen oder setzten sich zu den beiden Cembalospielern, die die Bühne mit ihren Instrumenten nach hinten begrenzen. Die Musik bricht für Minuten ab, aus der Überblendung barocker Klänge von Forqueray, D'Anglebert und Rameau mit modernen Minimalismen von Gavin Bryars, Kevin Shields und Iggy Pop wird Stille, in der nur der erschöpfte Atem der Tänzer zu hören ist. Das sind die spannensten Momente des Abends, weil hier die Bewegung zu sich selbst kommt.

Ansonsten liebt Edouard Lock die Verstärkung: von der riesigen leeren Bühne, auf der jede Bewegung ausgestellt wird bis hin zu den beiden überdimensionierten Leinwänden, auf der sich die junge und die alte Louise Lecavalier wie das blühende Leben dem eisigen Tod gegenüberstehen. Tanz und Bild springen den Zuschauer genauso an wie die Tänzer sich gegenseitig. Das ist unangenehm, weil es distanzlos ist. Der Hang zum Übergroen trübt das Bild dieser Choreographie, die wie keine der anderen Choreographien Locks gerade von ihrer Intimität und Verletzlichkeit lebt. Der Rhythmus stockt bei endlosen Wiederholungen der gleichen Bewegungsmuster, dem Haltsuchen und Abrollen am Partner, das durch Stolpern und Zittern unterbrochen wird - immer eine Spur beschleunigt, um die Körper in einen Fluß zu versetzen, dem unser Auge nicht folgen kann. Jede Geste wird mit Nachdruck verlängert bis sie vor Pathos trieft. Das ist noch unangenehmer, weil es sentimental ist. Manchmal muß man sich dem in all seiner Lächerlichkeit aussetzen.

Denn in der Übergröße der choreographischen Gestalt werden plötzlich kleine unscheinbare Dinge sichtbar, die aufmerken lassen: das unterschiedliche Spiel der Hände der schlafenden und der der sterbenden Frau im Film, die Verzögerung im Sprung und das kurze zärtliche Innehalten, bevor die Kraft in die Körper der Tänzer zurückkehrt. Hier überraschen weniger die Frauen, die sich in der Vergangenheit wie in keiner anderen Tanzkompanie als starkes Geschlecht geben durften, als die Männer, denen Lock eine ganze Palette feiner Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stellt. In ihren Duos und Quartetten wird für Edourd Lock und seine La La La Human Steps ein Weg sichtbar, den es weiterzuverfolgen gelte.