Absurde Tanzwelt

Xavier Le Roy zeigt „Product of Circumstances“ im Mousonturm

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In „Self - Unfinished“ stand er nackt auf der Bühne und war doch durch die Körperfiguren, die er entwarf, geschützt. In „Product of Circumstances“ behält er die Hosen an und entblößt doch viel mehr von sich als das, was das Ablegen der Kleider zeigen könnte. Xavier Le Roy erzählt in „Product of Circumstances“, einem wissenschaftlichen Vortrag über Le Roys eigene Forschung mit kleinen Tanzeinlagen, von der Krise seines Lebens, an derem Ende er, Produkt des Zufalls oder der Umstände, sich vom Molekularbiologen in einen Tänzer und Choreografen verwandelt hat. Der Franzose Xavier Le Roy hält den Vortrag auf Englisch. Die fremde Sprache, die er nur mit Akzent spricht, wirkt wie ein Schutz gegen die allzu große emotionale Nähe, die die Verwendung der Muttersprache bedeutet hätte.

Trotz der persönlichen Geschichte, die Le Roy erzählt, ist „Product of Circumstances“ kein autobiografisches Stück. Denn wir erfahren eigentlich nichts über Le Roys Privatleben. Es stellt vielmehr allgemeine Fragen über Erkenntnisprozesse und die Bedingungen ihres Zustandekommens in einer Gesellschaft, die allein vom Markt und ökonomischen Interessen beherrscht wird. Dass dem wissenschaftlichen Gehalt des Vortrags kaum jemand inhaltlich zu folgen vermag, tut daher nichts zur Sache. Auf der rechten Seite der Studiobühne des Mousonturms steht ein Rednerpult, in der Mitte ein Stuhl auf dem ein Kopfkissen liegt. Begleitet von Diaaufnahmen erläutert der schlaksige Typ mit den dunklen Locken streng wissenschaftlich seine Forschungen zur Markierung von Krebszellen, die er an der Medizinischen Fakultät von Montpellier durchführte. Eingelassen in den Vortrag sind kleine Tanzeinlagen, Fragmente, für die Le Roy seinen Platz hinter dem Pult verlässt, um an die Rampe zu treten. Sie markieren Stationen seiner Entwicklung als Tänzer, die zeitgleich mit seinen Zweifeln an der Objektivität medizinischer Ergebnisse einsetzt: der einseitigen, interessegeleiteten Betrachtung des Körpers, der im Wissenschaftsbetrieb in erster Linie der Karriere der Wissenschaftler und nicht der Erkenntnis dient. Es ist hoch komisch, wie Le Roy versucht, Ballettschritte zu üben, wie er mit den Armen rudert, um den Stil einer bestimmten Gruppe zu charakterisieren. Le Roys Tänze erzählen nur mit der Bewegung kleine Geschichten über die Absurdität der Tanzwelt, ihres Körperbildes, dem sich der Körper des schon etwas älteren Schülers partout nicht anpassen kann.

Und plötzlich fangen Tanz und Wisssenschaft an, sich ineinander zu brechen und zu spiegeln, wirkt die Ausschließlichkeit des einen ebenso verrückt wie der Wahrheitsanspruch des anderen. Auch im Tanz gibt es Muster, denen sich der Körper unterwerfen muss, um überhaupt als tanzender Körper zu gelten, Mechanismen, die er bedienen muss, um erfolgreich vermarktbar zu sein. „Product of Circumstances“ macht deutlich, dass für Xavier Le Roy Forschen und Tanzen ebenso eins sind, wie Vortäge halten und auf der Bühne stehen. Der Tanz wird für ihn nur zu einer anderen, komplexeren und umfassenderen Art, über den Körper nachzudenken, einer Art, die sich im Idealfall der Zweckrationalität widersetzt. Auch wenn Le Roy diesmal kaum tanzt: Radikaler kann die Standortbestimmung dessen, was Tanz in unserer unentwegt bewegten Zeiten noch kann, kaum ausfallen.