Individuelle Tätowierung

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Rhein-Main 13 Sep 2003German

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Über nichts erzählt sie so gerne wie über New York, wo sie seit 35 Jahren lebt und dessen Glanzzeit sie Ende der sechziger bis in die siebziger Jahre hinein miterlebt hat. Als Teenage- Superstar war sie Teil von Andy Warhols Factory-Entourage und drehte mit ihm den Film Women in Revolt. Mit sämtlichen Regisseuren der experimentellen Theaterszene, angefangen bei Jack Smith bis hin zu Charles Ludlum, hat sie zusammengearbeitet. Penny Arcade ist selbst so etwas wie eine Performancelegende. Nachdem sie Antony Rizzi für sein Stück Being Human Being nach Frankfurt geholt hat, steht Penny Arcade nun wieder mit ihrer Ein-Frau-Show New York Values in der Lounge des Mousonturms auf den Tischen.

Am DJ-Pult wird sie von Tom Forsythe begleitet, der ihr den richtigen Song oder Beat zur passenden Geschichte zaubert. Früher, schimpft sie, seien die Leute nach New York gekommen, weil sie ihr Leben und sich nicht in Ordnung fanden. Heute liefen sie durch die Straßen und fühlten sich wohl mit sich. Was soll dabei, bitte schön, an Kreativität herauskommen? In Deutschland würde man so etwas Kulturpessimismus nennen, doch Penny Arcade, die mit bürgerlichem Namen Susana Venturo heißt, ist nichts so fremd wie Untergangsstimmung und Wehleidigkeit.

Mit hellwachen Augen läuft sie durch die Welt, seziert mit ihrer scharfen Zunge den Alltag und rückt einfach ein paar Dinge wieder gerade, die in den vergangenen Jahren etwas verrutscht sind. Irgend jemand muß es schließlich tun, und wer könnte es besser und unterhaltsamer als sie? Zum Beispiel das Verschwinden einer richtigen Szene. Heute sei jeder hip, ohne zu wissen, was das einmal auch an persönlichen Entbehrungen bedeutet habe. Heute hat jeder hat das gleiche Tattoo und fühle sich dabei ganz individuell. Für all die, die es sich in ihrer Randgruppe allzu gemütlich gemacht haben, hat sie ein paar Gemeinheiten parat, schießt auf Political Correctness und Bourgeois-Bohemiens, die mit dicker Brieftasche auf Lotterleben machen. Aus dem schwarzen drogensüchtigen Bettler, der sie auf der Straße um 50 Cent angehauen hat, macht sie eine kleine schauspielerische Glanznummer, und der Filmstudentin, die nur mit einem häßlichen Unterrock bekleidet die Straße runter läuft und sich wundert, daß sie jeder anstarrt oder gar anmacht, schleudert sie nur ein aufrüttelndes Hallo, du hast vergessen, ein Kleid anzuziehen an den Kopf.

Wie zufällig aufgeschnappt wirken ihre Geschichten und sind doch mit ihren exakt gesetzten Pointen genau gearbeitet. Penny Arcade gewinnt aus dem ganz und gar Anekdotischen kleine Zustandsbeschreibungen und Stimmungsberichte unserer Gesellschaft. New York Values ist ein herrlich entspannter Abend, bei dem einem so manches Mal das Lachen im Hals stecken bleibt.