Möglichkeit von Glück

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Es beginnt mit einem richtigen Bild der Zuneigung. Ein Mann und eine Frau treten aufeinander zu und küssen sich leidenschaftlich. Als wäre nichts geschehen, gegen sie kurz darauf einfach wieder ab. Weiße Styroporkonstruktionen und bizarre Holzgestelle, auf denen Glasvasen und gelbliche Schalen gestapelt herumstehen, drängen sich an den Bühnenrändern. Dazwischen stehen ein paar Kitschobjekte wie ein weißes Bambi oder ein paar stimmungsvolle Discolampen herum, während die Darsteller sich dazwischen verlieren. Jemand legt ganz vorsichtig eine Glasplatte auf einen Schale, als könnte mit jeder noch so kleinen Veränderung das ganze Gestell zusammenbrechen. Das Glück, es ist eine fragile Konstruktion, so vergänglich wie der Kuß und vielleicht sogar nur ein rührseliger Kindertraum.

Wie schon in Morning Song stellt Jan Lauwers auch in Images of Affection, das im Mousonturm zu sehen war, die Frage nach der Möglichkeit von Glück im Angesicht von Tod und Vernichtung. Mike, der Erzähler, der uns in einer Art Vorspiel vor dem Theater zunächst einmal zu überzeugen versucht, ihm zu vertrauen, erzählt von jenem Abend im Kebab-Imbiß, der sein ganzes Leben verändert hat. Sein Freund Angie wurde dort bei einem Streit getötet, während zur gleichen Zeit der Krieg ausbricht. Bei der ersten Explosion sei, so Mike, seine Frau Christine ums Leben gekommen. Deren Geist spukt jetzt in Gestalt von zwei Schauspielerinnen höchst lebendig über die Bühne. Images of Affection entpuppt sich im Laufe von 90 Minuten als Familiengeschichte. Bob und Candy und deren Töchter Franky und Carolyne, die sich in höchst fragilen und zarten Tänzen gegenseitig stützen, waren Mikes und Christines Nachbarn. Dann gibt es noch Mikes Freunde Lola und Angie, der jetzt ein Engel ist, und Maria, den Musiker, der auf der Gitarre alte Kinks-Lieder wie Lazy Sunday Afternoon und You really got me anstimmt, worauf die ganze Gruppe fröhlich mitsingt. Und weil sich Lola, der Name von Mikes Freund, auf Cola reimt und obendrein noch ein Lied von den Kinks ist, steht eine Palette roter Cola-Dosen am rechten Bühnenrand.

Einmal stellt sich Candy vor, wie es wohl wäre, das Leben rückwärts leben zu können. Doch kaum kommt sie in Fahrt, schon wird sie von Bob angebrüllt, sie solle sich nicht in Fantasien flüchten. Das Glück gebe es nur im Hier und Jetzt. Bob entlarvt sich als egoistischer Glücksterrorist, der seine Vorstellung von Glück den anderen aufdrücken will, und Mike hat seine Frau anscheinend derart vernachlässigt, daß sie nicht, wie wir am Ende erfahren, bei er Explosion gestorben, sondern erfroren ist. So ist es immer in Images of Affection. Kaum glaubt man, einer Figur Sympathie entgegen bringen zu können, wird sie auch schon von den anderen desavouiert. Keiner ist das, was er vorgibt zu sein, jeder ist verstrickt in Lebenslügen, um sich und sein Glück zu schützen, wie einst beim seligen Ibsen. Das ist natürlich uraltes Theater, doch Lauwers wird dabei nie bitter oder moralistisch. Statt dessen bringt er Haltungen, Ideen, Bilder, Gefühle, Körper und Situationen in die Schwebe und läßt sie federleicht in den Bühnenhimmel aufsteigen wie das silberne Kissen, das einst Andy Warhol für Merce Cunninghams Stück Rain Forest entworfen hat, und das am Ende des Stücks unsere Träume mit auf eine Reise nimmt. Überhaupt zeigt sich Jan Lauwers diesmal verspielter und offener, wenn auch nicht weniger doppelbödig. Schönheit und Gewalt sind für ihn immer noch zwei Seiten der selben Medaille. Seine Inszenierung ist voller Zitate und Selbstzitate, so etwa die Figur der indonesischen Prinzessin, die in einer Art magischem Beschwörungsritual die Anzahl der Toten aus Kriegen und Konflikten der vergangenen dreißig Jahre aufzählt, bevor ihr ein kleiner Sprengsatz am Körper explodiert und sie schreiend zusammenbricht.

Die Antwort, die Jan Lauwers auf die Frage nach dem Glück gibt, liegt weniger bei seinen zwielichtigen Charakteren oder in der erzählten Geschichte. Sie liegt in der Art seines Theaters selbst, das Leben und Tod auf eine Ebene stellt, um dadurch ein Zusammensein zu inszenieren, das er auf der Bühne in einer Operration bei offenem Herzen mit den Zuschauern erprobt.