Spiel mit der Abwesenheit

Uraufführung von Vincent Dunoyers "The Princess Project"

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Rhein-Main 12 Feb 2001German

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Die Liebe ist ein Spiel mit der Abwesenheit, mit der Überhöhung eines Partners ins unerreichbare Ideal, mit Phantasien und Projektionen, die mit der Realität wenig zu tun haben. Oft genug verschwindet der Partner hinter einem Schirm aus Vorstellungen, doch ohne diese Wunschbilder käme die Maschine unseres Begehrens gar nicht in Gang. Die Figur, die das klassisch-romantische Handlungsballet für diesen Zustand der Verfehlungen einsetzt, ist die Prinzessin. Mit dem Unterschied nur, dass im Märchen der Prinz seine Angebetete am Ende auch bekommt. Der Schritt, den die beiden zur Demonstration ihrer Liebe tanzen, heißt Pas de deux. Vincent Dunoyer nimmt in seiner neuen halbstündigen Choreographie, die in der Studiobühne des Frankfurter Mousonturms uraufgeführt wurde, den französischen Titel ernst. Aus dem Schritt „pas“ wird die Verneinung „pas“. Denn seine Partnerin ist Dunoyer, dem neue Preisträger des Mousonawards, während der Proben abhanden gekommen.

Wie sein vorangegangenes Solo Vanity ist auch The Princess Project, das Solo wider Willen, ein Spiel mit der An- und Abwesenheit und mit der Wahrnehmung des Publikums. Doch über die reine Abstraktion legt Dunoyer diesmal eine kleine Handlungsstruktur, die von der Begegnung zweier Menschen erzählt. Auf einer quadratischen Leinwand am rechten Bühnenrand werden die Rahmenbedingungen eingeblendet. „Eröffnungsszene“ steht da etwa zu lesen. „Ein Raum. Zwei Personen. Sie hatten den gleichen Traum“. Doch auf der Bühne befindet sich nur ein Tänzer. Vincent Dunoyer sitzt mit dem Rücken zum Publikum, die Hände unterhalb der Knie auf die leicht angewinkelten Beine gelegt, und beginnt, auf dem Hintern in die Diagonale zu rutschen. Später steht er auf, bringt seinen Körper in prekäre Balancen, schlägt hin und schreitet den Raum geometrisch exakt aus.

Akt 1 beginnt, und Dunoyer sitzt in der gleichen Haltung diesmal mit dem Gesicht zum Publikum. Seine Rutschbewegungen führt er diesmal im Kreis aus. Elemente aus dem Prolog werden aufgegriffen und variiert. Dunoyers Tanz wirkt leicht und entspannt und ist doch mit großer Konzentration ausgeführt. Die Überraschung kommt in Akt 2. Eine Kamera hat Akt 1 aufgenommen und gibt ihn nun wieder, während sie gleichzeitig Dunoyers aktuelle Bewegungen aufnimmt. Auf diese Art tritt Dunoyer auf der Leinwand mit sich selbst in einen tänzerischen Dialog. Er tanzt mit seinem Abbild, und das mit einer so präzisen Blickchoreographie, dass daraus ein regelrechter Pas de deux wird, bei dem die Körper zum Teil deckungsgleich miteinander verschmelzen. Doch während wir dem umgarnenden Spiel auf der Leinwand, das von Hubert Machniks suggestiver Komposition „leere räume“ begleitet wird, fasziniert zuschauen, tanzt vorne auf der Bühne der echte Vincent Dunoyer. Allein.

Im Hintergrund läuft die ganze Zeit ein Tanzfilm von Maya Deren aus den fünfziger Jahren auf einem kleinen Monitor, der mit der dahinter platzierten Kamera und einem zweiten Bildschirm vorne an der Rampe die Mittelachse des Raumes bildet. Derens tanzende Figuren sind darauf nur schemenhaft zu erkennen. Überbelichtete weiße Gestalten schweben gespenstisch durchs Bild und lösen sich auf. The Princess Project ist eine eben solche geisterhafte Veranstaltung, die das Phantasma der Liebe ebenso einfühlsam wie unprätentiös in Szene setzt. Nachdem der Pas de deux vorüber ist, verlässt Dunoyer die Bühne. „I’m set free“ von den Velvet Underground erklingt, während sich die Tür ins Foyer weit öffnet. Vincent Dunoyer ist verschwunden, doch sein Bild bleibt in unseren Köpfen zurück. Oft ist das Bild das einzige, was am Ende einer Liebesbeziehung von der Prinzessin übrig bleibt.