Stuhlhaut

La Ribot zeigt "Still Distinguished"

Frankfurter Allgemeine Zeitung 20 Apr 2001German

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Auf dem Boden des Auditoriums im Moderna Museet in Stockholm liegen scheinbar wahllos verstreut Gegenstände herum. Die Zuschauer wandern, von keiner Sitzordnung zurückgehalten, zwischen Pumps und Perücken, Wasserflaschen und Baukästen wie durch eine Landschaft. Es sind kleine Memento Mori, Spuren vergangener Performances, die die spanische Tänzerin La Ribot in ihrem jüngsten Stück Still Distinguished zu einem Stilleben arrangiert, mit denen wir uns als Objekte mit Objekten einen Raum teilen. Zum ersten Mal hat die ehemalige Ballerina für eines ihrer Stücke, deren Hauptperson stets ihr Körper ist, den traditionellen Theaterraum verlassen, um für ihre szenischen Miniaturen, die sie im Raum verteilt wie Bilder an den Wänden einer Galerie, eine andere Wahrnehmungssituation zu erzeugen. Bei Pa amb Tomaquet, so der Titel des ersten von acht gezeigten Bildern, tritt die Künstlerin nur kurz auf, um drei Bildschirme einzuschalten. Gezeigt werden drei verschiedene Perspektiven auf ihren nackten Körper, der sich selbst filmt. In der einen Hand eine Kamera, in der anderen ein scharfes Messer, versucht La Ribot auf aberwitzige und gefährlich aussehende Weise eine Knoblauchzehe zu zerhacken, mit der sie sich anschließend einreibt. Tomaten werden zerteilt und landen ebenfalls auf ihrer Haut, bevor sie zum Schluß das eben kreierte „Tomatenbrötchen" mit Olivenöl begießt.

Ansätze, die aus der Performancekunst der sechziger Jahre kommen und in der Bildenden Kunst längst ihre radikale Störkraft eingebüßt haben, werden seit Mitte der neunziger Jahre im veränderten Kontext des zeitgenössischen Tanzes wieder aufgegriffen. Damit verbindet sich eine Kritik an festgeschriebenen Tanzästhetiken jeglicher Couleur, die, zwar virtuos wie einfallsreich, doch nur die ewig gleichen Muster von Emotionalität und dem Verhältnis der Geschlechter nur mehr reproduzieren. Die Kritik am Objektstatus des Werks macht sich im Tanz, der sich immer stärker als prozessualer Vollzug denn als reproduzierbares Artefakt versteht, an einer verstärkten Beschäftigung mit dem Körper des Tänzers und den Wahrnehmungsverhältnissen fest, innerhalb deren er sich präsentiert und präsentieren muß. Auch hier geht es um unseren Blick auf den Körper der Tänzer und Tänzerinnen, um das Beobachten und Beobachtetwerden. Setzten Performancekünstler wie Stelarc oder Orlan noch in den neunziger Jahren ihren Körper als Organismus durch verändernde Eingriffe aufs Spiel, arbeiten ihre Kollegen vom Tanz bewußt nur mit dem Bild des Körpers und seiner Verfaßtheit. Der Körper fungiert in ihren Arbeiten als Schnittstelle zu anderen Kunst- oder Wissensformen, die ebenfalls ein bestimmtes Bild vom Körper produzieren. Der Körper ist für sie keine natürliche Gegebenheit, sondern ein durch Wiederholung und Einschreibung von kulturellen Praktiken performativ Erzeugtes, das einem bestimmten Erkenntniszweck dient.

Um dieses diskursiv und sprachliche Hergestelltsein des Körpers geht es auch in den Arbeiten von Maria Ribot, die sich mit einem augenzwinkernden Verweis auf die großen Diven des Showbusineß einfach La Ribot nennt. Seit 1993 arbeitet sie, die sich inzwischen in London niedergelassen hat und im vergangenen Jahr von der spanischen Regierung mit dem Kulturpreis für Tanz ausgezeichnet wurde, an ihren Piezas Distinguidas, von denen sie inzwischen 34 realisiert hat. Jedes ihrer kleinen Werke steht zum Verkauf, und La Ribot entfacht damit ein ironisches Spiel mit dem Marktwert von Performances, die es als Objekte, die man besitzen könnte, im Grunde genommen gar nicht gibt. Nach zwei Staffeln von je 13 dieser ausgezeichneten Stücke präsentierte sie nun im Stockholmer Museum für Moderne Kunst im Rahmen des Panacea-Festivals ihre jüngsten acht Bilder. Unter dem Motto I’ll Never Let You Go stellte das Festival, das von Mårten Spångberg zusammen mit Joachim Gerstmeier vom Siemens Kulturprogramm ausgerichtet wurde, für eine Woche eine Plattform für Arbeiten im Grenzbereich von Tanz und Bildender Kunst bereit.

Für Oversized Baggage verpackt sie ihren nackten Körper mit einer Schnur und hängt sich einen Gepäckstreifen für den Flughafen London Heathrow über die Schulter, nur um sich anschließend minutenlang regungslos den Blicken der Zuschauer auszuliefern. Für Another Bloody Mary zieht sie sich eine blonde Perücke über, klemmt ein Haarteil in ihr Schamhaar, steigt in giftgrüne Pumps und breitet von einer Schürze über eine Miniaturtelefonzelle und Lockenwickler lauter rote Gegenstände vor sich aus. Langsam sinkt sie nach hinten zu Boden und bleibt breitbeinig liegen, während aus den kleinen Lautsprechern, die über die Bühne verteilt sind, ein elektronisch verzerrtes Silence is Golden zu hören ist. Vom Longdrink, dessen Genuß die Dame offensichtlich k.o.-geschlagen hat, bis hin zur blutig geschlagenen Frau eröffnet das Bild zusammen mit seiner Überschrift eine ganze Palette von Assoziationen, die, darin den frühen Arbeiten von Cindy Sherman nicht unähnlich, immer wieder um Gewalt und den Objektstatus von Kunst im Allgemeinen und der Frau im Besonderen kreisen. La Ribot entwirft auf diese Art eine Reihe kleiner szenischer Metaphern, indem sie zwei unterschiedliche Bildbereiche auf ihrem Körper zusammenbringt. Ihre emblematischen Körper-Bilder sind sprachlicher Natur. Sie bedürfen der Inscriptio, um ihr Spiel der Bedeutungen zu entfachen. In Chair 2000, das auf das englische „chair“, Stuhl, und das französische „chair“, Haut, gleichermaßen anspielt, zerlegt sie den Holzstuhl, den sie in ihren früheren Stücken als Requisit so gerne verwendet hat, in kleine Einzelteile und klebt sie sich mit Klebeband auf ihre Haut. La Ribot ist der Stuhl und der Stuhl ist ihre Haut. Dabei schient sie sich ein Bein, bis sie nur noch auf ihrer Zehenspitze zu stehen scheint. Zum perfekten Objekt geworden, entwirft sie so gleichzeitig auch das ideale Bild einer Ballerina auf Spitze. La Ribots Metaphern sind humorvolle und hintergründige Geistesblitze, die schlagartig Zusammenhänge zwischen Kunstproduktion und -rezeption erhellen.