State Disrupted

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Rhein-Main 17 Feb 2003German

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Ein kurzer Film am Anfang exponiert das Thema. Das Porträt des Tänzers Amancio Gonzales schmückt die Bühnenrückwand. Doch wir sehen nur seine rechte Gesichtshälfte, sehen ihn sein Auge langsam öffnen und schließen, bevor die dunkle Hälfte durch das Gesicht von Francesca Caroti überblendet wird. Für einen kurzen Moment bilden ihre beiden Gesichtshälften ein Gesicht, sprechen aus einem Mund und rauchen zusammen eine Zigarette, bevor das Bild ganz hinüberwechselt zum Gesicht der Frau.

Um einen Mann und eine Frau geht es auch im ersten Tanzteil des Abends State Disrupted, den Georg Reischl, seit 1999 Mitglied des Frankfurter Ballettensembles, im Bockenheimer Depot präsentierte. Aus einem längeren Stück, das er im Jahr 2000 für das Scapino Ballett in Rotterdam choreographiert hatte, hat er ein Trio herausgelöst. Auf der langen Diagonale der Bühne schiebt sich eine Tänzerin mit tief nach vorne gebeugtem Oberkörper, den sie immer wieder hochschnellen läßt, nach vorne zur Rampe. Dort stellt sie sich zwischen einen Mann und eine Frau, schiebt sie an. Ein Trio aus harten spitzen Bewegungen entspinnt sich, bevor sich die zweite Frau aus der Gruppe löst, um am hinteren Bühnenrand Platz zu nehmen. Von dort aus beobachtet sie das Paar, beschreibt dessen Bewegungen, bevor sie mit „My Mind stopped“ plötzlich aufhört.

Reischl baut den zweiten Teil auf einem einzigen Grundkontrast auf, der sich zwar auf allen Ebenen wiederfindet, dadurch aber auch schnell durchschaubar wird. Von ganzen Neonlichtbatterien am linken Bühnenrand werden die vier Tänzer und vier Tänzerinnen in ein hartes Licht getaucht, das von weicherem, indirektem Licht auf der rechten Seite abgemildert wird. Texte von Jeanette Winterson und Paul E. Griffiths greifen das Beziehungsthema aus dem ersten Teil wieder auf. Duos und Trios, die sich mit weitausholenden peripheren Bewegungen der Gliedmaßen um ein sich windendes und wegduckendes Körperzentrum herum, im Raum ausdehnen, bilden den Fokus. Unterbrochen werden sie von Tänzerformationen, die sich mit rechtwinkligen, schachbrettartigen Bewegungsmustern zwischen die Paare schieben und sie an den Rand drängen.

Im Profil oder frontal schreiten die Tänzer die Bühnenbahnen ab und formieren sich immer wieder zu Linien, aus denen schließlich wieder ein Tänzer ausbricht. Auf dem Boden sitzend winkeln sie Arme und Hände in verschiedenen Graden an oder klemmen sich eine der kleinen Schachteln zwischen die Füße, die in zwei ordentlichen Reihen den linken Bühnenrand säumen. Das wirkt manchmal zu bemüht, um wirklich interessant zu sein. Michiel Jansens Musik entwickelt sich von einzelnen nervös reißenden Klangmustern hin zu warmen Celloklängen, die das Stück auf einer versöhnlichen Note ausklingen lassen.