Dreiteiliger Ballettabend

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Daß wir einen Körper haben, fällt uns im Alltag kaum auf. Weder achten wir auf unsere Körperhaltung beim Arbeiten oder Lesen noch sind wir in der Lage, auf einer Reihe von Fotografien unsere eigene Hand zu identifizieren. Obwohl wir keine Erfahrungen machen können ohne unseren Körper, ist dessen grundlegende Präsenz durch Abwesenheit gekennzeichnet. Erst dann rückt der Körper ins Bewusstsein, wenn er nicht mehr funktioniert: sei es durch Krankheit, oder, wie im Fall des Tänzers Homer Avila, wenn ihm durch Amputation ein Körperteil fehlt. Die Frankfurter Tänzerin und Choreographin Dana Caspersen hat mit dem New Yorker Avila ein Stück erarbeitet, das sie einfach Solo für einen Mann nennt und das nun im Bockenheimer Depot zu sehen war.

Mit wuchtigen muskulösen Sprüngen hüpft er auf die Bühne, in deren Mitte ein einfacher Lichtkreis einen Aktionsradius markiert. Avila, dem aufgrund einer Erkrankung ein Bein amputiert werden mußte, stört unser gewohntes achsensymmetrisches Körperbild. Auf die Hände gestützt reckt er sein Hinterteil in die Luft, hebt seinen Stumpf an, senkt sich rapide ab, um seinen Körper perspektivisch zu verzerren und auf dem Boden zu drehen. Es sind schnelle, äußerst agile und artikulierte Bewegungen, die uns manchmal das Fehlen des zweiten Beines nur vorzutäuschen scheinen: Wir ergänzen es einfach in unserer Vorstellung. Denn durch das Fehlen eines Beines legt Avila virtuos die Bedingungen offen, unter denen Tanz normalerweise stattfindet. Gewichtsverlagerungen, muskuläre Anspannungen und Richtungswechsel im Raum springen uns plötzlich viel stärker ins Auge. Und was es heißt, sich im Gleichgewicht zu halten, merken wir erst dann, wenn er auf einem Bein völlig ruhig aufrecht vor uns steht.

Mit den Prinzipien des modernen Tanzes wie An- und Abspannung arbeitet auch der portugiesische Choreograph Bruno Listopad. In seinem Solo S für die Tänzerin Gunvor Karlsen, die sich mit großer Konzentration wie eine Butoh-Tänzerin zunächst ganz langsam im Bühnenraum zu orientieren scheint. Der Körperschwerpunkt ist ihr ins Becken gerutscht, mit dem sie die Bewegungen ihrer Gliedmaßen stützt und kontrolliert. Als „physisches Experiment mit neosurrealistischem Fokus“, wie es im Programmzettel heißt, läßt sich das wunderbar getanzte Stück allerdings kaum bezeichnen. Es bietet uns nicht viel mehr, als das gängige zeitgenössische Tanzvokabular.

Ungewohntere und unverbrauchtere Bewegungen hat sich dagegen Cora Bos-Kroese ausgedacht. In Under My Feet untersucht sie den Boden, der den Tänzern Widerstand und Kraft für ihre Kunst bietet. Bei Cyril Baldy, Sang Jijia und Roberta Mosca wird er zum Himmel der Möglichkeiten. In Duos und Trios berühren sie sich überwiegend mit den Füßen. Auf dem Boden sitzend oder auf einem kleinen grünen Hügel in der hinteren Bühnenecke stehend, stoßen sich ab, ziehen sich an und artikulieren die ganze Palette von Emotionen einer Beziehung. Daß dabei Oben und Unten durcheinander geraten und sich, wie es in dem leicht verblasenen Text heißt, mit dem Roberta Mosca das Stück einrahmt, unter jedem Fuß wieder ein Himmel befindet, gilt für den Tanz in ganz besonderem Maße.