Both Sitting Duet

item doc

In den Arbeiten des britischen Choreographen und Tänzers Jonathan Burrows macht sich seit Mitte der neunziger Jahre eine zunehmende Radikalität bemerkbar, die sich allen gängigen theatralischen Konventionen des Bühnentanzes widersetzt. 1995 choreographierte er, zunächst für einen Film, das fünfminütige Stück Hands, das einzig und allein aus den Bewegungen der Hände auf seinen Oberschenkeln besteht. Bei einer Aufführung des Stücks 1998 im Frankfurter Mousonturm stellte ihm Burrows das Musikstück Donna che beve voran, das von einem Musiker auf drei zu Perkussioninstrumenten verstärkten Kartons live auf der Bühne gespielt wurde. Zu beiden Stücke hatte der italienische Komponist Matteo Fargion die Musik geschrieben, der jetzt auf der Bühne des Mousonturms auch Burrows Tanzpartner ist.

Musik als Bewegung und Bewegung als Musik spielen auch in Both Sitting Duet eine zentrale Rolle. Wie schon in seinem letzten großen kleinen Stück Weak Dance Strong Questions, das Burrows mit dem Theaterregisseur und Schauspieler Jan Ritsema entwickelt hat, spiegelt und bricht sich sein ausgebildeter Tänzerkörper auch hier im Körper eines Nichttänzers. Abwechselnd oder unisono führen sie Bewegungen aus, die einen Teil ihrer Spannungen aus der Differenz zwischen Formung und Alltäglichkeit ziehen. Überhaupt gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Stücken was die Radikalität des Weglassens betrifft.

So gibt es auch diesmal weder Musik noch einen stringenten choreographischen Aufbau. In Jeans und T-Shirt oder Hemd betreten die beiden die funktional beleuchtete Bühne und setzen sich auf ihre Stühle, die einander leicht zugewandt sind. Zwei Ringbücher mit der jeweiligen Bewegungspartitur liegen vor ihnen auf dem Boden. Es beginnt mit einem eleganten Streichen über den Oberschenkel, ein Drehen der Hand und ein rasches Greifen auf den Boden. Die Arme streichen übereinander und winden sich vor der Brust. Jonathan Burrows und Matteo Fargion beginnen zeitversetzt und mit leicht abgewandelten Bewegungen, bis sie nach einigen Minuten ein gemeinsames Metrum entwickelt haben, das sich bald darauf schon wieder auflöst. Im Sitzen entfalten die beiden auf diese Art eine dichte Komposition aus Bewegungen der Finger, Hände und Arme, deren Elemente gerade durch ihre strikte Reduktion eine scheinbar unendliche Vielfalt an Möglichkeiten der Durchführung und Kombination erhalten.

Im Unterschied zu Weak Dance Strong Questions werden die Bewegungen in Both Sitting Duet streng geführt und mit Nachdruck ausgeführt. Blitzschnell und mit gebundenem Fluß, dabei jedesmal wieder abbrechend und neu anhebend jagen sie konzentriert von Akzent zu Akzent: lauter Höhepunkte, bei denen man die vorangegangene Entwicklung ausgespart hat.

Nach einer halben Stunde kommt es innerhalb dieses Kontinuums aus Unterbrechungen zu einer kleinen Ungeheuerlichkeit. Plötzlich fassen sich die beiden an den Händen und etablieren so eine unerwartet neue Art der Beziehung untereinander. Klassische Port de bras-Positionen werden eingestreut, als wolle der „richtige“ Tanz jetzt endlich beginnen. Doch sind sie hier lediglich mögliche Haltepunkte innerhalb des Kontinuums der Armbewegungen. Einmal sogar hebt sich Burrows kurz von seinem Stuhl auf, verrückt ihn gar später, nur um wieder an seine Ausgangsposition zurückzukehren. Laute kommen hinzu, ein rhythmisches Klatschen und „Hey, Hey“-Skandieren beginnt, wobei die beiden die Finger an ihren Händen abzählen. Derart hochgepeitscht bricht der Abend nach 45 Minuten einfach ab. Both Sitting Duet ist eine Herausforderung an den Tanz, der hier in Reinform permanent im Entstehen begriffen ist.