Bassso Continuo

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Rhein-Main 25 Feb 2003German

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Im vorderen Teil des Bockenheimer Depots setzt sich ein Mann ans Piano und greift beherzt in die Tasten. Eine Tänzerin spreizt sich dazu schön zur Arabesque, bevor sie eilig durch den Gang auf die Bühne huscht, vorbei an einer Tänzerin, die sich auf den seitlichen Balkon geschwungen hat und einem Tänzer, der sich an einer Reckstange überschlägt. In Jai Gonzales Basso Continuo, einer Produktion des Heidelberger Unterwegs Theaters, die nun auf Einladung des Ballett Frankfurt im Bockenheimer Depot zu sehen war, wird die ganze Halle in die Choreographie einbezogen.

Während Esther Balfe, Pim Boonprakob, Jennifer Howard und Jone San Martin auf der Bühne ihre Kreise drehen, zieht ihnen Bernhard Fauser den Boden unter den Fußen weg. Unter dem schwarzen Tanzboden legt er den weißen frei, der als Dreieck in die Bühne ragt. Verschiebbare Bänke werden gekonnt umtanzt, die eine oder andere Tänzerin nimmt auch schon mal darauf Platz, um ein Sonnet von Shakespeare zu murmeln. Aus Shakespeares Sprache wird aber bald ein zeitgemäßes Beziehungsgeplapper, das, von einer Live-Kamera begleitet, über aktuelle Befindlichkeiten im Dschungel der Gefühle Auskunft geben soll.

Videos von alten Fabrikfassaden, Verkehrsplänen, S-Bahnschächten und vorbeirauschenden Fahrzeugen werden auf die Wände des Bockenheimer Depots und auf einen Gazevorhang projiziert, hinter dem sich die Musiker Marc Weiser und Lillevän vom Berliner Rechenzentrum an ihren Geräten zu schaffen machen. Wummernde Bässe und dräuende elektronische Klänge, die sich gegen Ende zu einem metallischen Klopfen und Schlagen ausdünnen, liefern den Soundtrack zu Gonzales’ Choreographie: eine moderne Großstadtsinfonie, die, wie der ganze Abend, seine Wurzeln in den künstlerischen Neuanfängen der späten siebziger Jahre hat. Doch die permanenten Störgeräusche verdichten sich bald zu einer melancholisch eingefärbten, suggestiven Atmosphäre, die den Zuschauer in ein Nirgendwo abdriften lassen. Die Offenheit des Raumes und der Musik tragen so wenig zur Öffnung der Sinne bei. Vielmehr verschließen sie unsere Wahrnehmungskanäle mit einem medialen Overkill.

In Michael Kliens Duplex, dem zweiten Stück des Abends, wird es nur einmal wirklich gefährlich. Die Tänzerin Jone San Martin, die, wie ihr Partner Fabrice Mazliah, seit Jahren den Stil des Ballett Frankfurt seit Jahren maßgeblich prägt, kippt nach hinten über und läßt sich fallen. Doch statt sie aufzufangen, zögert Mazliah eine Sekunde, bevor er zugreift. Es ist der einzig wirklich spannende Moment in einem Stück, das ansonsten in einem ruhigen Bewegungsfluß von gleichbleibend wohlgeformter Artikuliertheit vor sich hinplätschert. Mit weitausholenden, sanft gedrehten und weich verlagerten Bewegungen schieben sich die beiden, mal im Solo mal als Duo, über die leere Bühne. Begleitet von Volkmar Kliens merkwürdig akademischer Komposition für Violine und Klarinette wirkt auch der Tanz mit zunehmender Dauer erstarrt.

Michael Klines Choreographie basiert auf einem Computerprogramm, das den Tänzern auf Farbskalen Dauer und Art der Bewegung vorgibt. Bei der Premiere im März vergangenen Jahres konnten die Zuschauer die Farbskalen auf Bildschirmen mitverfolgen. Diesmal bleiben sie uns verborgen. Das macht auch nichts. Denn um den beiden famosen Tänzern diese Art von Bewegung zu entlocken, hätte es ohnehin kein Computerprogramm gebraucht.