Aufbruch

P.A.R.T.S. Nacht im Mousonturm mit Choreographien von William Forsythe, Trisha Brown und Anne Teresa de Keersmaeker

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Rhein-Main 14 Apr 2003German

item doc

Contextual note
The "P.A.R.T.S./Departs" programme in Frankfurt included this school performance of repertoire pieces, including a reworking of Forsythes "Vile Parody".

Drei Tänzer betreten im lockeren Gang die Bühne. Kaum haben sie sich höflich vor dem Publikum verbeugt, geht die eine auch schon wieder ab. Weit auseinanderpostiert beginnen die anderen beiden, Mund und Gesicht zu grotesken Grimassen zu verziehen. Dabei stoßen sie Laute aus, die ihnen in der Kehle zu ersticken drohen. Noch vor ein paar Wochen sah ihre Version von William Forsythes „The Vile Parody of Address“ ganz anders aus: neo-klassisch grundiertes Material, das mit extrem verlängerten Gliedmaßen den Raum durchnitt. Doch seit ihrer Ankunft in Frankfurt hat Forsythe die Gruppe aus der Tänzer- und Choreographenschule P.A.R.T.S. aus Brüssel unter seine Fittiche genommen. Jeden Tag hat er mit den Studenten gearbeitet und das Stück wieder auf den Kern dessen zurückgeführt, was ihn in der ursprünglichen Version 1989 daran interessierte. Für die neue Version der P.A.R.T.S. Nacht im Mousonturm hat er die Bewegung wieder ganz in den Körper zurückgenommen, wo sie Volten schlägt und für ungewöhnliche Verschiebungen, Torsionen und Zuckungen sorgt. Nur ganz vorsichtig schiebt sich ein Tänzer schwerfällig von der Seite auf die Bühne. Er hat dort draußen im Off die ganze Zeit getanzt, obwohl wir ihn nicht sehen konnten, während ein großer Teil der Bühne leer blieb. Daß in Forsythes Universum nichts so bleibt wie es einmal war und alles immer in Bewegung ist, durften die jungen Tänzer und Tänzerinnen in Frankfurt am eigenen Leib erfahren.

Mit vier Stücken hat sich der dritte Jahrgang der Schule nun im Künstlerhaus Mousonturm vorgestellt und dabei eine überaus gute Figur gemacht: sechzehn junge Tänzer und Tänzerinnen, die auf dem besten Wege sind, zu hervorragenden Tänzern zu werden. Zu den Repertoirestücken von P.A.R.T.S. gehört auch Trisha Browns Klassiker „Set and Reset“, mit dem die Ikone des amerikanischen postmodernen Tanzes 1983 wieder ins traditionelle Theater einzog. Das Stück beginnt mit einer Reminiszenz an ihre experimentelle Phase, in der sie Tänzer Häuserwände oder die Wände des Whitney Museums in New York hinunter laufen ließ. Vier Tänzer halten eine Tänzerin mit ausgestreckten Armen über ihre Köpfe, während sie die Rückwand der Bühne entlang schreitet. Zu Laurie Andersons „Long Time No See“ breitet sich die Gruppe anschließend auf vielen kleinen Umwegen und Schlenkern im Raum aus, der zum überaus dynamischen Ort vielfältiger Begegnungen wird. Lockeres Armschwingen, Anheben und Drehen der Beine und immer wieder plötzliche Richtungswechsel: alles wirkt derart leicht, als entglitte die Bewegung den Körpern in jedem Moment.

Auf einen Workshop mit Anne Teresa de Keersmaeker, der Leiterin der Schule, geht „First Take“ zu Miles Davis’ „Kind of Blue“ zurück. Ganze kraftraubende 45 Minuten lang können die Bewegungen den Einfluß von Trisha Brown nicht abschütteln. In einer flachen Struktur aus choreographierten Duetten und Trios, die sich mit improvisierten Teilen abwechseln, müssen sich die Tänzer ständig neu zu einander verhalten. Über die Länge der Zeit wird allerdings auch deutlich, was ihnen dabei noch fehlt: der letzte Rest an Ausdruck, Energie und Leichtigkeit nämlich, der das Material vor der Eintönigkeit bewahrte.

Die Überraschung des Abends kam von Mette Ingvartsen, einer Studentin, die mit „Manuel Focus“ eine reife Arbeit zeigte. Zusammen mit Kajsa Sandström und Manon Santkin hat sie ein Stück entwickelt, das ähnlich wie Xavier Le Roy in „Self-Unfinished“, die Präsentation des Körpers auf der Bühne untersucht, um gängige Bilder und Erwartungen zu unterlaufen – Fragen, denen sich die neue Tänzergeneration kaum zu entziehen zu können scheint. Doch wo Le Roy mit unserer Wahrnehmung spielt, kümmert sich Mette Ingvartsen mehr um das spielerische Erkunden von Bewegungsmöglichkeiten, die ihre Mutanten hervorzaubern können. Nackt betreten die drei die Bühne und stülpen sich verkehrt herum Männermasken über ihre Köpfe. Während des gesamten Stücks zeigen sie uns nur ihre Rücken und stellen die Anatomie auf den Kopf, in dem sie ihre Körper zu ungewohnten neuen Körpern verbinden. Das ist ebenso vergnüglich wie intelligent und beweißt einmal mehr, daß die choreographischen Experimente der vergangenen Jahre keinen Einbahnstraßen zu sein brauchen.