Ungelenke Bewegungen

Das Ballett Frankfurt zeigt Mauricio de Oliveiras "Fabbrica" und Alssio Silvestrins "Ritrovare"

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Rhein-Main 28 Jan 2003German

item doc

Mit einem Gastspiel beginnt das Ballett Frankfurt sein Programm im umgestalteten Bockenheimer Depot, das nun, in der Mitte geteilt, im hinteren Bereich eine Tribüne für zwei- bis dreihundert Zuschauer aufweist. Doch eigentlich ist der Doppelabend mit Choreographien von Mauricio de Oliveira und Alessio Silvestrin noch so etwas wie ein Heimspiel. Schließlich waren die beiden bis zum vergangenen Sommer Mitglieder das Frankfurter Ballettensembles und hatten sich schon beim letzten Abend für junge Choreographen mit eigenen Stücken und Bildern hervorgetan. Zusammen präsentierten sie nun als deutsche Erstaufführung „Fabbrica“ und „Ritrovare“, die beide im vergangenen Jahr beim Ca-Dance Festival in Den Haag uraufgeführt wurden.

Zusammengehalten werden die beiden Teile von einem ähnlichen Anfang, der bei jedem Stück darin besteht, daß ein Tänzer oder eine Tänzerin, die schon während des Einlasses auf der Bühne agieren, eine regalartige Wand von vorne links in den Bühnenhintergrund schieben. In Maurico de Oliveiras „Fabbrica“ stehen darauf Flaschen und andere Glasbehälter, die seine Idee von der alchimistischen Reaktion und Transformation zweier Körper bildlich unterstützen. Alessio Silvestrin läßt für „Ritrovare“ kleine Bildtafeln darauf legen, die dem Prozeß der Erinnerung als Material und Anhaltspunkte dienen. Silvestrin hat auch für beide Stücke die minimalistisch konkrete Musik komponiert. Für de Oliveiras „Fabbrica“ hat er eine Tonspur aus klingenden und klirrenden Gläsern entwickelt, unter die sich die zarten Klänge einer Spieluhr mischen. In „Ritovare“ unterstreichen spröde und repetitive Klaviertöne das ziellose Kreisen der Erinnerung.

Steif und im Hohlkreuz eckt Alessio Silvestrin als Tänzer in „Fabbrica“ über die Bühne, arrangiert Flaschen und Phiolen, studiert Zeichnungen, die auf einem Tisch im hinteren Teil der Bühne herum liegen, und rutscht eine Schräge hinunter, die vom Tisch zum Boden führt. Sein Partner Michael Maurissens umrundet auf allen Vieren die Bühne und stützt sich dabei auf die Knöchel seiner Hände. Immer wieder kommt es zu Begegnungen der beiden, ungelenk und vorsichtig zunächst, bis ihre mechanistischen Bewegungsmuster schließlich in ein flüssiges, eng getanztes Duo münden. Am Ende kommen die beiden auf dem Tisch übereinander zum Liegen, verschmolzen zu einer anderen Einheit, wobei man nicht mehr unterscheiden kann, welche Hand ursprünglich zu welchem Körper gehörte.

Trotz einiger unnötiger Szenen gelingt es Mauricio de Oliveira mit „Fabbrica“ seine Idee von der geistigen wie körperlichen Verschmelzung zweier Substanzen tänzerisch plausibel zu machen. Alessio Silvestrins „Ritrovare“ ist dagegen ebenso hochfliegend ambitioniert wie kläglich gescheitert. Als Puzzlespiel aus verschiedenen bildhaften Versatzstücken inszeniert der junge Italiener die Erinnerung, die das, was einmal in den Archiven des Gedächtnisses deponiert wurde, niemals so wie es einmal war wieder hervorholen kann. Schlüssel und Schubladen werden als reale Objekte über die Bühne getragen, als Zeichnungen aus Kartons geholt und auf den Boden gelegt oder als Videobild in verschiedenen Stadien der Abstraktion auf die Holzwand geworfen, die die Bühne hinten abteilt. Räume werden gezeichnet und gezeigt, Labyrinthe, in deren Gängen sich die Erinnerung verliert.

Leider verliert sich auch das spannungslose Stück, das mit einer Stunde Dauer die Geduld des Publikums doch arg strapaziert. Denn dem dramaturgisch interessanten Rahmen steht auf der tänzerischen Seite die bloße Willkür entgegen. Christine Bürkle, Mauricio de Oliveira, Michael Maurissens und Alessio Silvestrin tanzen Forsythe light. Doch keine ihrer Bewegung vermag das Thema der Erinnerung zwingend plastisch machen.