Freiraum ohne Sicherheiten

Philipp Gehmacher und Thomas Hauert im Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm

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In sich gekehrt und abgewendet steht Philipp Gehmacher in der rechten hinteren Bühnenecke. Zu Beginn seines Solos „In The Absence“, das der junge Österreicher schon vor vier Jahren im Rahmen seines Studiums am Laban Center in London entwickelt hat, schiebt er sich langsam auf die Bühne des Mousonturms, nur um sofort zu Boden zu fallen. Kaltes blaues Licht umrandet die Bühne in einem dünnen Streifen, so daß die Mitte aussieht wie ein unmarkiertes Feld, in das sich Gehmacher hineinfallen läßt. Auf seine Unterarme gestützt robbt er sich flink nach vorne, zieht seinen steifen, unbeweglichen Körper hinter sich her als gehöre er nicht zu ihm, und richtet sich vorne an der Rampe langsam auf. Zwischen Fallen und Aufstehen entfaltet Gehmacher in der folgenden halben Stunde seinen Körper und dessen Möglichkeiten.

Philipp Gehmacher begibt sich mit „In the Absence“ in die Lücke zwischen seinem Körper als Subjekt und Objekt, zwischen sich als handelndem Tänzer und seinem Körper als Material, mit dem er arbeitet und das er dem Publikum zeigt. Dabei lotet er die Kluft aus, die entsteht, wenn er seinen Körper beim Tanzen als Fremdkörper betrachtet. Es ist der Blick von außen auf seinen Körper, der Gehmacher fasziniert und den er produktiv macht für spannungsgeladene Bewegungssequenzen, die sich eruptiv im Raum ausbreiten und stets für unvorhergesehene Wendungen gut sind.

Schwer sind alle seine Bewegungen, jeder Schritt scheint ihn nach unten zu ziehen, läßt ihn, den Schwerpunkt leicht zur Seite verlagert, über die Bühne torkeln als verlöre er die Kontrolle über sich und seinen Körper. Teilnahmslos hebt er seine Arme zu einem Port de bras, nur um sie stufenweise nach unten sinken zu lassen. Unterstreichen hallende Schritte und ferne Stimmen in der Komposition des Ensemble Bash im ersten Durchgang die spröde Fremdheit seiner Bewegungssequenzen, unterlegt er sie im zweiten Anlauf mit einem billigen Balkan-Tango von Goran Bregovic. Doch was am Anfang aussieht wie ein exakte Wiederholung des ersten Teils mit ironischem Unterton, nimmt ab der Hälfte eine andere Richtung. Geschickt spiegelt und dreht Gehmacher seine Figuren und eröffnet ihnen so stets neue Orte und Räume, präsentiert sie von anderen Perspektiven, so daß sie neu und frisch erscheinen. „In the Absence“ ist der Prozeß einer Aneignung des Eigenen durch Wiederholungen, noch bevor das Eigene seinen Platz gefunden hat.

Wie Gehmacher spielt auch Thomas Hauert mit der Schwerkraft seines Körpers. Der Schweizer, der in Luzern und Brüssel lebt und arbeitet, geht in seinem Solo „Do You Believe in Gravity? Do You Trust the Pilot?“ allerdings ungleich biegsamer und lockerer mit ihm um. Ein runder roter Teppich, auf dem ein Mikrophonständer zum Singen einlädt, ziert die linke hintere Bühnenhälfte. Doch Hauert umrundet ihn zunächst in einer immer gleichen Kreisbahn, die nach geraumer Zeit von einem blauen Lichtkreis markiert wird, ganz so, als hätten seine Schritte den Boden ausgetreten. Doch dann beginnt er, mit wenigen Schritten vom vorgezeichneten Weg abzuweichen. Eingefangen in Lichtkreise hält er regungslos inne, bevor er den Kreis regelrecht durchschneidet, mit weit schwingenden Armen durch ihn hindurch läuft, um sich so von dem immer gleichen Trott des Anfangs zu befreien. Auf einem Teppich aus übereinander geblendeten Lichtrechtecken, aus denen später Kreise werden, geht Hauert in die tiefe Rückenlage, federt nach oben, dreht und windet sich. Mit Leichtigkeit und Eleganz erkundet auch Thomas Hauert den Freiraum, der entsteht, hat man einmal alle Sicherheiten in Bewegung versetzt.

Gerahmt wird das Solo von zwei Liedern, die allerdings ein wenig naiv wirken. Begleitet von der atmosphärischen Clubmusik von Bart Aga singt Hauert mit schöner Singstimme und feiner Gestik vom Vertrauen in die Welt und in den Anderen, den man braucht, um sich und den Ort, den man einnimmt, sehen zu können. Der Abstand zwischen Ich und Nicht-Ich verbindet Thomas Hauert mit Philipp Gehmacher. Doch wo Hauert die Distanz im Wohlklang überbrückt und schließt, bleibt sich Gehmacher fremd.