Wenn der Körper implodiert

Das Festival "P.A.R.T.S./Departs-Aufbrüche" im Mousonturm

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Im fahlen gelblichen Licht der Bühne wirken ihre Körper wie umrißhafte Schemen. Ein Mann (Andy Deneys) und eine Frau (Mariana Garzón Gracía) tanzen leicht versetzt hintereinander stehend im perfekten Unisono durch den Raum und hinterlassen dabei Spuren auf dem mit weißer Kreise abgedecktem Tanzboden. Streng geführt und doch leicht und elegant wirken ihre flüssigen Bewegungen, die mit zunehmender Dauer immer eruptiver und raumgreifender werden. Dabei entfernen sich die beiden weiter voneinander, bis sie plötzlich mit einem angedeuteten kleinen Sprung ins Publikum springen. Was mit zarten sparsamen Klaviertönen beginnt, steigert sich zu einem regelrechten Klangewitter.

Mit Andy Deneys Choreographie „Miura Verona“ wurde das Festival „P.A.R.T.S./Départs – Aufbrüche“ im Künstlerhaus Mousonturm eröffnet. Bis kommenden Samstag werden dort Arbeiten von Studierenden der Brüsseler Tänzer- und Choreographenschule gezeigt, die von Anne Teresa de Keersmaeker geleitet wird. Den Anfang machten fünf Choreographien von vier ehemaligen Studenten, die alle einen starken Willen zur Eigenständigkeit verraten. Auffallend ist, daß sich alle Arbeiten auf unterschiedlichen Weise mit dem Betrachten des tanzenden Körpers auf der Bühne auseinandersetzen. Wie präsentieren sich die Tänzer den Zuschauern, welche Bilder produzieren sie und wie werden sie wahrgenommen?

Heine R. Avdal und Christoph de Boeck holen sich dafür in ihrem hochkomplexen Stück „Terminal“ Unerstützung von verschiedenen Medien. Eine Kamera fängt einen Teil der Zuschauertribüne ein und projiziert das Bild auf entgegengesetzte Seite der Bühnenrückwand. Langsam löst sich aus der ersten Reihe ein Körper, der mit gebeugtem Oberkörper den Raum betritt. Jede seiner minimalen Bewegungen fällt sofort wieder in sich zusammen als implodiere seine Figur und hinterlasse nicht mehr als ein Zucken der Muskeln. Mit dem Rücken zum Publikum vor der Kamera stehend tanzen seine Finger über seine Hemdknöpfe. Langsam schreitet er eine Reihe von Polaroid-Fotos an der Rückwand ab. Ein Film, der die Bewegungen Avdals scheinbar mit vollzieht, holt das jeweils betrachtete Foto in Nahaufnahme heran. Avdals Auge betrachtet sich im Bühnenraum selbst. Sein Körper spaltet sich in verschiedene Perspektiven auf, besetzt zwei oder mehr Orte gleichzeitig, bis Innen und Außen, Zuschauer und Akteur sich zu einem einzigen imaginärem Zwischenraum verbunden haben. Hans Meijers Lichtkonzept unterstützt dies, indem es den Köper in verschiedene Zonen der Sichtbarkeit unterteilt. Christoph de Boeks Sounddesign aus statischem Knacken, rhythmischem Wummern und elektronisch hochfahrenden Tönen kratzt an der Oberfläche des Raumes und fügt ihm Risse zu, in die sich Avdals Bilder festsetzen.

Weitaus tänzerischer arbeitet Claire Croizé in ihrem Stück „Blowing Up“. Vom Kreis über verschiedene gerade Linien bis hin zur Diagonalen entwickelt sie die klassischen geometrischen Figuren des Balletts, gegen die sich ihr Körper jedoch zur Wehr setzt. So dreht sie sich bis zur Verausgabung, kippt immer wieder ihren Oberkörper nach unten, nur um mit fliegenden Haaren wieder nach oben zu schnellen, legt eine dicke Jacke an, um das Ausführen der Bewegungen zu erschweren oder verschiebt ihr Gleichgewicht bis sie kippt. All das führt sie mit meisterhafter Körperbeherrschung aus, so daß man nie lange Angst haben muß, sie könnte die Form tatsächlich einmal verlieren.

Charlotte Vanden Eynde wirft schließlich einen kritischen Blick auf die Schönheitsideal und Körperbilder des Tanzes. Das haben in den vergangenen zehn Jahren schon viele Choreographen vor ihr getan, doch ihre beiden Miniaturen sind mit jeweils 15 Minuten kurz genug, um nicht überflüssig zu sein. „Benenbreken“, auf deutsch „Beinebrechen, ist eine Choreographie nur für Beine, Füße und Zehen, die sie in drei Szenen auf der Seite auf einem Tisch liegend, um den Tisch herum tanzend und frei im Raum stehend aus ihrer üblichen Haltung bringt. Mit bizarr angewinkelten Füßen, abgespreizten Zehen, die zärtlich über die Beine wandern, und verdrehten Knien durchbricht sie die klassische Linienführung des Balletts und verhilft so der Beinregion zu einer ganz eigenen Ausdruckskraft. Ihr Duo „Zij Ogen“ knüpft nahtlos daran an. Ein zweiter Tisch wird hereingebracht, auf dem sich Sharon Zuckerman postiert. Die beiden Tänzerinnen strecken auf dem Rücken liegend ihre Beine pfeilgerade in die Luft, kippen zur Seite weg, um dann das eine Bein wie zur zweiten Position vom Körper wegzustrecken. Drehend und kippend verändern sie ständig ihre Position und bieten so uns verschiedene Ansichten ihres Körpers dar. Locker posieren sie zu einem Popsong und strecken uns dazu frech die Zunge heraus, als wollten sie damit sagen, daß emanzipierte Tänzer und Tänzerinnen ihr Bild selbst bestimmen.