Der Vorteil des Theaters gegenüber dem Leben

Antony Rizzi zeigt sein neues Stück "Being Human Being" im Frankfurter Mousonturm

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Rhein-Main 29 Apr 2003German

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Contextual note
Antony Rizzi has been a dancer with Ballett Frankfurt since 1985. He has choreographed pieces within the framework of the ballet, but this is his third piece as an independent choreographer and perforamnce artist.

Am Ende werden Grasnarben auf die Bühne geworfen. Duftende Rechtecke aus Gras fliegen über den Boden des großen Saals des Mousonturms und verlieren dabei den Sand, der an den Wurzeln klebt. Bis auf seine Unterhose entkleidet, legt sich der Tänzer Antony Rizzi mit angespanntem Körper auf den Rücken und atmet hörbar ein und aus, als wolle er inmitten der feinen Halme einen Sturm entfachen. Die Szene verweist zurück auf den Anfang, als der Tänzer Tamas Moricz breitbeinig auf einer Leiter Platz genommen hatte. Von hoch oben beschreibt er, wie er sich einst ins Gras legte, um die Welt von unten zu betrachten. Während er erzählt, legen Kollegen vor ihm auf den Boden weiße Blätter aus, auf denen allmählich das Bild einer Grasfläche erscheint. Was am Anfang noch wie die Beschreibung eines unschuldigen Idylls klang, das die Freude an den kleinen, fast alltäglichen Dingen des Lebens heraufbeschwört, ist am Ende brüchig geworden. Die Narben sind auch die des Lebens, der Sand klebt auf Rizzis Haut wie die Spuren eines Kampfes.

Wie schon in seine beiden vorangegangenen Bühnenstücke „Snowman Sinking“ und „Judy Was Angry“, die wie „Being Human Being allesamt im Frankfurter Mousonturm uraufgeführt wurden, hält der Tänzer des Frankfurter Balletts auch in seinem neuen Stück die prekäre Balance zwischen Tragik und Humor. Bevor eine Szene zu pathetisch zu werden droht, steht Rizzi lieber wieder auf und fängt die Szene noch mal von vorne an. Das man alles noch einmal machen kann, ist der unbestrittene Vorteil, den das Theater gegenüber dem Leben hat. Die Texte, für die neben Rizzi selbst vor allem William Cody Maher, Penny Arcade und Andreas Baumecker verantwortlich zeichnen, kreisen in diesen zwei Stunden um die Frage, was es heißt, Mensch oder menschlich zu sein, um Glück und Katastrophen, um Lebensentwürfe, deren Scheitern und das Wiederaufstehen nach der Niederlage. Geschichten aus dem Leben der Darsteller, in denen sich Fakten mit Fiktion vermischen, werden geschickt auf die Gruppe der zwölf Darsteller und Tänzer aufgeteilt, ein begonnener Satz von jemand anderem vollendet, eine Bewegung von der Gruppe der Tänzer aufgegriffen, fortgeführt und alle Identitäten dabei verwischt.

Der Wechsel zwischen nähe und Distanz spiegelt sich auch im Raumkonzept des Stücks. Während die Zuschauer im ersten Teil von der Empore des Theaters hinunter in die Unterwelt blicken, wo zu Beginn die Bühnenarbeiter noch die Podeste einrichten und alles aussieht wie auf der Baustelle des Lebens, findet das zweite Teil nach der Pause unten im Theatersaal statt. Der Draufblick auf die Menschen weicht einer größeren Intimität. Konsequenterweise ist der erste Teil als Gruppenstück angelegt, während der zweite bis auf ein schönes Duo, das Rizzi mit Ayman Harper tanzt, ein Solo von Rizzi ist. Auf zwei ausziehbaren Kranpodesten werden im ersten Teil William Cody Maher und die New Yorker Performancekünstlerin Penny Arcade zu den Zuschauern hinaufgefahren. Aus Betrachtern werden so selbst Betrachtete, die mit markanten Sprüchen wie „Ich war ein menschliches Wesen, solange es in Mode war“ oder „Ich sah einmal ein menschliches Wesen aus großer Entfernung“ konfrontiert werden.

Doch aus ihrem beißenden und spottenden Zynismus, der das Menschlichsein zum Lifestyle-Accessoire degradiert, spricht die Sehnsucht nach Liebe. Eine große Qualität des Stücks besteht darin, daß das Thema nicht einfach nur verhandelt wird, sondern daß man den Eindruck gewinnt, Rizzi umgibt sich in seinem Stück auf der Bühne mit Freunden und Bekannten, um das Menschlichsein dort auch ein Stück weit Wirklichkeit werden zu lassen.