Der sanfte Provokateur

Raimund Hoghe zeigt sein Masterpiece „Another Dream“ im Tanzquartier Wien

Falter 3 May 2002German

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Contextual note
Ein ausführliches Portrait von Raimund Hoghe ist in dem Buch Helmut Ploebst, „no wind no word. Neue Choreographie in der Gesellschaft des Spektakels“, K.Kieser Verlag, München 2001, enthalten.

Er erfüllt keines der Klischees, die gern mit dem Tanz verbunden werden. Er hat keinen durchtrainierten Körper, er ist kein Youngster mehr, und er zeigt keine Bewegungs-Akrobatik. Trotzdem ist Raimund Hoghe einer der wichtigsten Choreographen Europas, erhielt 2001 den renommierten Deutschen Tanzproduktionspreis und wird besonders in Brüssel, dem Mekka der zeitgenössischen Tanzperformance, geradezu gefeiert. Das Tanzquartier Wien präsentiert ab Donnerstag sein Solo ‚Another Dream’ (2001), den letzten Teil einer Trilogie, die 1994 mit ‚Meinwärts’ begonnen und 1997 mit ‚Chambre séparée’ fortgesetzt wurde.

Als er jung war, wollte er Tänzer werden. Ein unmögliches Ansinnen im Deutschland der Aufbauzeit, denn Hoghe hat einen gekrümmten Rücken. Damit durfte er lediglich als buckliges Schneiderlein auftreten und basta. Hoghe bemühte sich um einen anderen Job und wurde Journalist, schrieb Sozialreportagen und über Kunst, Film und Theater. Seine sensiblen Portraits von Menschen-wie-du-und-ich, die er bis Mitte der 90er Jahre für ‚Die Zeit’ schrieb, sind heute legendär. 1979 entdeckte die Muttergottes des deutschen Tanztheaters, Pina Bausch, Hoghe für sich als Dramaturgen. So wurde er für ein Jahrzehnt zum einflußreichen Beteiligten an Bauschs Klassikern aus den 80ern, darunter ‚Bandoneon’, ‚Nelken’ oder ‚Two Cigarettes in the Dark’. 1989 versuchte er eine erste eigene Arbeit, ‚Forbidden Fruit’ für den Tänzer Mark Sieczkarek. Sein Durchbruch als Choreograph kam allerdings erst mit ‚Meinwärts’, als er sich zum ersten Mal selbst auf die Bühne stellte.

Bei ‚Another Dream’ reiht Hoghe, der Solist kleine Bilder, Szenen und Rituale aneinander, die von einer genau kalkulierten Serie von Musikstücken begleitet werden. Man hört Joan Baez, Cilla Black oder Donovan, denn das Stück behandelt die ambivalente Zeit der 60er Jahre, aber auch Bach und Mahler, dann wieder Dalida, Ella Fitzgerald, Dusty Springfield. Hoghe agiert als Mischung zwischen Darsteller und Demonstrator und spricht Texte, die an Martin Luther King erinnern, die überhaupt mit der Erinnerung spielen. Er vernetzt Spiel, Sprache und Sound zu einer meisterhaften dramaturgischen Installation. Und er verknüpft westliches Sentiment mit einer japanisch anmutenden Klarheit und Reduktion.

Sein Publikum spaltet sich meist in drei Parteien auf: Für die einen wird der Theatersessel zum Zeitreise-Fauteuil, von dem aus sich die Wirren der Welt als verhalten schimmernde Kunstgebilde beobachten lassen; die zweiten sind Duldende, die hin- und hergerissen auf ihren Stühlen wetzen; die dritten fühlen sich wie auf einem Schleudersitz, weil ihnen das Hoghe-Universum verschlossen bleibt. Der Choreograph versteht sich bestens auf sanfte Provokation. Den Abgeklärten cremt er ein wenig Kitsch auf die Häupter, den Schwärmern trocknet er mit seiner beinhart linearen Dramaturgie die Gemüter, Puristen werden mit überraschenden Highlights schockiert, barocke Seelen durch das Fastnichts der Inszenierung beunruhigt.

Privat ist er ein sehr netter, zuvorkommender Mann. Auf der Bühne hingegen öffnet Hoghe mit kleinen, oft betulich anmutenden Bewegungen ungerührt Pandorabüchsen oder wahre Abgründe – zündet aber auch zur Abwechslung Räucherstäbchen an und hantiert mit Kunstgras oder sanftem Kerzenschein. Was während dieses Spiels herauskommt, ist in den Zuschauern bereits vorhanden. Denn ihre Erinnerungen und Assoziationen spielen bei ‚Another Dream’ mit. So ist Hoghe während seines Solostücks keine Sekunde lang allein.