Der Teufel steckt im Nilpferd

Antonia Baehr sagt „Danke“ - Deutschlandpremiere bei „Herbstleuchten“ in der Fabrik

Märkische Allgemeine 23 Oct 2007German

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Die Zeit vergeht in Nilpferden. Ob man im Schrank sitzt oder draußen Männchen macht. Ob die persönliche Dompteur-Animateurin ihrem Schützling gerade zur Belohnung ein Stück Zucker auf der Spitze ihres Zeige- und Züchtigungsstöckchens reicht. Oder ob sie dieselbe Stange dazu einsetzt, die seltsame Mannsfrau, die auf einem Podest auf allen Vieren neue Aufgaben erwartet, gezielt in Positur zu dirigieren - nach einer Abbildung, mit der Valérie Castan ihre lebende Skulptur Antonia Baehr immer wieder prüfend vergleicht. Was darauf zu sehen ist, bleibt, wie vieles, das an diesem Abend nur die beiden etwas angeht, ihr Geheimnis.

Man kann „Danke“, das assistierte Solo der Berliner Künstlerin Antonia Baehr, das beim Festival „Herbstleuchten“ in der Fabrik Deutschland-Premiere hatte, drehen und wenden wie man will, es bleibt so gaga wie großartig. In gewisser Weise ähnelt es dem magischen Würfel „Rubic's Cube“, dem in den Achtzigern eine ganze Generation West Stunden ihrer Jugend opferte in dem verbissenen, so gut wie aussichtslosen Versuch, ein bewegliches Farbfeld-Durcheinander wieder in die Ordnung von sechs einheitlichen Würfel-Seiten zu bringen. Das klingt jetzt, zugegeben, irgendwie banal, aber gewann geradezu existenzielle Dimensionen, war man dem Sog dieses kleinen, unschuldig wirkenden Objektes erst einmal verfallen. Etwas ganz Ähnliches geschieht, während man Antonia Baehr bei ihren bestellten Spielchen auf Kommando zuschaut. „Sie bezahlt mich dafür, dass ich ihr sage, was sie tun soll“, erläutert Valérie Castan dem Publikum das simple Prinzip. Mit einer Stoppuhr in der Hand sitzt nun sie auf der weißen Holzbox, die in der Mitte der ansonsten leeren Bühne steht und aussieht wie ein falsch bemaltes Spielzeugimitat der schwarzen Kaaba, des Heiligtums von Mekka. Sie zählt auf Französisch: „Ein Nilpferd, zwei Nilpferde...“ Antonia Baehr hat sie, ein weiteres Spiel, für drei Minuten in die Box gesperrt - „drei Minuten in Nilpferden.“ Frauke Niemann überträgt live von der Bühne aus Wort für Wort mit geschicktem Timing ins Deutsche. Ein weiteres Echo in dieser schier endlosen Domino-Kette von Auslöser und Effekt.

Die Nilpferde sind wichtig. Denn sie markieren die Grenzen zwischen Philosophie und Kinderei, Spontaneität und Gehorsam, Freiheit und Kontrolle, (Un-)Sinn und Sichtbarkeit, die „Danke“ geschickt zum Schwingen bringt. Baehr spielt, nur eben nicht Theater, sondern Spiele, und sie enttäuscht damit unsere Zuschauererwartung, was da auf der Bühne vor sich geht, geschähe einzig und allein für uns. „Play“ bedeutet im Englischen „Stück“ und nicht „Spiel“, obwohl der Wortstamm ein und derselbe ist. Anders hier: Während man noch versucht ist, den Code für die Anweisung „Feld drei“ zu knacken, hat Antonia Baehr längst einen Heidenspaß. Sogar dann, wenn sie, wie Castan manchmal hereinruft, die Regeln übertritt und eine Runde verliert. Die Präzision im Detail lässt ahnen, dass „Danke“ sein Material aus einer gründlichen Recherche zum Bewegungsspektrum eines irritierend zwischen männlich und weiblich oszillierenden Körpers, aus Quellen von Charles Darwin bis Steve Reich und den Spielregeln und Partituren befreundeter Künstler bezog. Das Schöne ist aber, dass es darum am Ende gar nicht mehr geht. Theater lebt, neben dem menschlichen Spieltrieb, schließlich auch vom Luxus der Verschwendung.