Im Badezimmer von Gabriele D’Annunzio

Der Choreograph Hans Tuerlings zeigt das Tanzstück ‘Bagno blu’ im Mousonturm

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Rhein-Main 18 Jan 1998German

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Die brokatschweren Roben der Frauen sind so rot wie Blut, der leichte, fließende Hausanzug des Mannes ist so schwarz wie Ebenholz. Die Haut, die die drei Tänzer von Hans Tuerlings Ensemble Raz immer wieder durch ein selbstvergessen verspieltes Anheben der Kleider für kurze Augenblicke entblößen, ist so weiß wie Schnee. Doch was der niederländische Choreograph, seit 1990 mit seiner Gruppe in Tilburg ansässig und dem Frankfurter Publikum durch seine Zusammenarbeit mit dem Regisseur Michael Laub im TAT bekannt, in seinem neuen Stück "Bagno blu" erzählt, ist ein Märchen noch reiner als das von Schneewittchen. Die Villa Vittoriale, die sich der italienische Dichter, wankelmütige Politiker, unerbittliche Ästhet und exzentrische Dandy Gabriele d'Annunzio 1920 am Gardasee bauen ließ, hat es Tuerlings angetan. So will er in seinem groß angelegten Projekt "Casa del Sogno" in den nächsten vier Jahren zu jedem der sechzehn Zimmer des Hauses ein Stück choreographieren, das die Atmosphäre, die Farben, das Licht und die Gemütslagen der Menschen einfangen soll. Im Mousonturm hat er sich zum Auftakt der Serie mit "Bagno blu" ins blaue Badezimmer begeben, wo der blonde Jan Zobel lasziv auf dem dicken Perserteppich liegt oder "hop, hop, hop" rufend über den Parkettboden hüpft. Jos‚ Way öffnet ihre langen blonden Haare als sei die geradewegs aus einem Gemälde der Präraffaeliten gestiegen. Gabi Sund, ihr dunkelhaariger Gegenpol, enthüllt ihren Rücken und markiert mit langsamen, autoerotischen Gesten eine Waschung.

Immer wieder erstarren sie zu Posen, Piet…s und Pathosformeln aus der Kunstgeschichte, halten die Zeit an, verharren in nahezu vollkommener Ruhe, bis sie wieder auffliegen wie die Vögel und sich neckisch nachlaufen. Immer im Kreis herum. Mit wenigen gezielt gesetzten Zeichen entfaltet Tuerlings eine in sich selbst ruhende Welt, in der das Leben ausgeschlossen bleibt. "Bagno blu" entfaltet eine Stimmung der parfümierten Schwere und des schwülen Pathos', das sich lähmend wie der erlesene Ennui der Dekadenz über die Szene legt. Lange verlangende Blicke werden getauscht, doch sie kommen nirgendwo an. Eine beiläufige Berührung, ein Sprung in die Arme des Mannes und ein langsames Abgleiten von seinem Körper: immer hat die Flüchtigkeit des Moments das Leben dem Tod schon übereignet. Was diese nahezu klassische Menage à trois auf der Bühne deshalb nicht auszeichnet, ist Spannung oder gar erotische Konflikte. Nur einmal dürfen sich die beiden Damen in sphinxartigen Posen wie Katzen über die Weite des Teppichs hinweg anfauchen. Ansonsten gleitet das Leben in d'Annunzios Badezimmer, sanft umspült von Jeroen van Vliets suggestiv tröpfelndem Piano, dahin als wäre es nicht mehr als ein langer ruhiger Fluß. Die Gefühle in Hans Tuerlings "Bagno blu" sind gänzlich sublimiert, puderzuckerartig raffiniert und leider auch etwas abgestanden.