Ein ästhetischer Gewaltakt

Das Dresdener Tanzplan-Projekt startet unglücklich

Die Welt 2 Apr 2007German

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Flammen werfen Schatten auf das Festspielhaus von Hellerau. Gesäumt von Fackeln führt eine Podesterie vor der Fassade ins obere Geschoss. Rotes Licht flutet durch Rauchschwaden. Die Tänzer marschieren zu Elektrobeats in zwei Reihen die Treppe herunter. Sie tragen Jogginganzüge, hantieren mit brennenden Stäben und Feuerschalen. Manchem geht ein Licht aus. Es bilden sich Reihen und gestufte Formationen. Sportlich, zackig, seelenlos rattert die Schrittfolge. Ein Bezug zu Cézanne, der dem Programm zu entnehmen ist, bleibt willkürliche Behauptung. Nach einer halben Stunde ist der martialische Spuk vorbei.

Viel Rauch ohne choreografisches Feuer. Drastischer gesagt: Angelin Preljocajs „Fire Sketch“ mit seiner Blindheit für das Echo der eigenen pathetischen Symbolik im Vorhof von Hellerau gleicht einem ästhetischen Gewaltakt. Der Nachwuchs, der in den ersten Produktionen von Tanzplan Dresden auf der Bühne stand, wird hier einiges nicht lernen: ein Mindestmaß an historischer Sensibilität etwa, die in einem als anfängliche Brutstätte künstlerischer Avantgarde mitten hinein in die Aufmarschkultur des Dritten Reiches gezogenen Haus angebracht wäre. Oder ein Bewusstsein dafür, dass Kunst die Verantwortung für den Kontext ihrer Präsentation zwar nur bedingt ausüben, aber nicht abgeben kann. Das zeigt gerade die Geschichte der deutschen Lebens- und Tanzreformer der zehner und zwanziger Jahre, deren Weg sich teilte. Manche führte ihre Entscheidung in die Reihen der Olympiade von 1936, andere in Berufsverbot und Exil.

Wayne McGregor findet für sein Interesse an informationsverarbeitenden Prozessen im Gehirn, für den Ort und die Ansprüche eines Ausbildungsprojektes eine glücklichere Schnittmenge. „[mem_ri]“ buchstabiert sein hypervirtuoses Hochgeschwindigkeitsballett einmal von A bis Z. Der Hauschoreograf des Royal Ballet überreizt die physische Beweglichkeit. McGregor spannt den Körper in ein Gerüst aus endlos rotierenden Winkeln und Drehpunkten ein. Als Effekt entsteht ein rasender Stillstand, der die klassischen Posen überschreibt und verzerrt. Die Begegnung der Tänzer mit dieser Sprache, die technisch zu den größten Herausforderungen im zeitgenössischen Ballett zählt, gleicht einem ehrgeizigen Kräftemessen.

Der neue Leiter der Palucca Schule, Jason Beechey, sieht die Idee einer projektweisen Arbeit professioneller Choreografen mit Tänzern an der Schwelle zum Beruf die Lücke zwischen Schüler- und Profidasein schließen. Ehemals in der Brüsseler Basis von D.A.N.C.E. involviert, dem internationalen Fortbildungsprogramm von William Forsythe, Frédéric Flamand, Preljocaj und McGregor, nahm Beechey den ersten Jahrgang dieser von Institutionen aus 17-EU-Ländern gestützten Struktur mit nach Dresden. In einem administrativen Kunstgriff wurden die 24 Stipendiaten Meisterschüler bei Palucca. Die beiden Tanzplan-Premieren sind genau genommen D.A.N.C.E.-Projekte. Zukünftig gibt es für jährlich zwei Produktionen junger Tänzer mit Gastchoreografen offene Auditions und als zweiten Baustein Sommer- und Winter-Workshops.

Mit 558.000 Euro, in gleicher Höhe gegenfinanziert vom Land und den drei Trägern Palucca Schule, SemperOper und Festspielhaus, fördert der Tanzplan Deutschland der Bundeskulturstiftung die Dresdner Initiative. Angereist war zu den Uraufführungen allerdings weder die Projektleitung noch jemand vom Kuratorium. Bedauerlich. Man hätte sonst nämlich feststellen können, wie weit und ungewiss der Weg von der Idee einer Kooperation großer Kultur- und Bildungsinstitutionen zum Wohle des Tanzes und dem Beginn der inhaltlichen Arbeit allen guten Absichten zum Trotz wirklich ist.