Wenn der Kopf den Körper beherrscht

Emio Greco mit seinem Solo ‘Rosso’ im Frankfurter Mousonturm

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Rhein-Main 14 Nov 1998German

item doc

Emio Greco ist ein phantastischer Tänzer. Glasklar und präzise. Die Geometrie ist sein Zuhause. Wer ihn in Jan Fabres "Da un' altra faccia del tempo" oder in Saburo Teshigawara "I was real - Documents" gesehen hat, kann ihn nicht vergessen. Auch in seinen beiden Soli "Fra cervello e movimento - Bianco" und "Rosso", die er zusammen mit Pieter C. Scholten erarbeitet hat, zerlegt er sich und seinen Körper in kleine und kleinste Einheiten mit einer an Erschöpfung grenzende Unermüdlichkeit. Das Ergebnis ist unbefriedigend. Vom Gehirn zur Bewegung, vom Kopf zum Körper ist ihm auch in "Rosso" der Körper abhanden gekommen. Paradoxerweise. Denn keiner beharrt mit einem derartigen Nachdruck auf ihm wie Emio Greco.

Der Nachdruck ist das Problem. Denn Emio Greco jagt in seinem Solo einem Phantasma hinterher. Und das heißt "Ausdruck". Daß er Körper schneller ist als das Hirn, hat der in Brindisi geborene Tänzer von Teshigawara gelernt, an dessen "I was real - Documents" die schlingernden Bewegungen aus der Ferne ebenso erinnern wie die lauten Toncollagen. Teshigawara bleibt dabei unnahbar entrückt. Greco wirkt nur unangenehm überhitzt. Benutzt sein Kollege Xavier le Roy den Körper lediglich als Material, soll er bei Greco gleich und unmittelbar bedeuten. Auch dann noch, wenn es, wie in "Rosso", um die Krise des Bedeutens geht. In der Jagd nach dem vorgängigen Idealbild des bedeutenden "reinen" Körpers, bleibt der Körper stets hinter dem Kopf zurück, den er doch gerade ausschalten möchte.

Die Bühne des Mousonturms ist mit rotem Samt ausgeschlagen. Ein Scheinwerferkranz wirft wie ein Kronleuchter Spots auf Boden und Wände. In lauten Klanggewittern zerreißt es Greco, der, gefangen in seinem roten Käfig, schutzlos der Welt ausgeliefert ist. Die Reaktion auf das Gefangensein sind noch schnellere Bewegungen als wolle er durch ein Schlupfloch in der Zeit entfliehen. Es sind detailverliebte Bewegungen, gespreizt bis in die Fingerspitzen, die, mit Verlaub, von albernem Herumgehampel nicht mehr allzuweit entfernt sind. Bei aller Überformtheit haben sie wenig Form. Immer wieder bewegt er den Mund zum Sprechen, doch die Worte ersterben auf seinen Lippen. Mehr schwülstige Manieriertheit als produktiver Manierismus. Mehr pathetischer Narzißmus als nüchterne Analyse. Es scheint, als müßte Emio Greco den Käfig, der seinen Körper wie ein Bild umgibt, erst einmal zerschlagen, bevor der Austausch zwischen Kopf und Körper wieder produktiv werden kann.