Im Rahmen von ‘Springdance/Dialogue’ zeigen Hooman Sharifi ‘Suddenly. Anyway. Why all this? While I...’ und Benoit Izard ‘Scanning’ im Mousoturm

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Rhein-Main 19 Nov 2001German

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„How long have I been here“, steht auf der Bühnenrückwand zu lesen. Das hängt davon ab, was ich mit „hier“, „ich“ und „sein“ meine heißt es da weiter. Daneben flackern Dias von einem kleinen Kind auf. Zwischen Text und Bild steht der Tänzer Hooman Sharifi zunächst regungslos dar. Aggressiv laute Musik peitscht durch den Theatersaal des Mousonturm. Plötzlich knallt Sharifi nach hinten auf den Boden als sei er von einem Schuß niedergestreckt worden. Immer Wieder rappelt er sich auf, fällt hin, verlagert sein Gewicht, so daß er sich schlingernd und drehend knapp über dem Boden bewegt.

Hooman Sharifi, der aus dem Iran geflohen mit 14 nach Oslo kam, wo er seine ersten Tanzerfahrungen auf der Straße mit Hip Hop machte, bevor er am Konservatorium in Oslo seine Ausbildung absolvierte, zeigt in „Suddenly. Anyway. Why all this? While I...“ einen getriebenen Menschen am Rande der Selbstauflösung. Die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum, in dem die Stühle kreuz und quer stehen, ist dabei durchlässig. Sharifi mischt sich unter das Publikum, setzt sich auf eine Stuhl, atmet laut zwischen den Stühlen stehend im Dunkeln vor Erschöpfung, oder legt seinen Kopf an die Brust eines Zuschauers. Alleinsein, Hiersein und doch nicht Hiersein, die Sehnsucht nach Geborgenheit – Hooman Sharifi findet dafür ganz direkte und unverstellte Bilder und Situationen, die mitunter furchtbar naiv und eindimensional erscheinen und dabei ihre Wirkung doch nicht verfehlen. Darf man das Publikum auffordern, „Die Reise nach Jerusalem“ zu spielen, um Unterwegssein und Ausgegrenzt-Werden erfahrbar zumachen? Darf man es gar hinterher bitten, zu Chet Bakers „My Funny Valentine“ mit einem fremden Menschen zu tanzen? Man darf, wenn man Hooman Sharifi ist, dessen körperliche Präsenz und Energie die losen Szenen glaubhaft zusammenhält.

Wie Hooman Sharifi geht es auch dem jungen französischen Performer Benoit Izard um das Verhältnis zum Publikum. Beide suchen für eine Idee eine direkte Umsetzung, ohne ästhetische Übersetzung. Ihre Stücke, die viel stärker über gesellschaftliche Kontexte funktionieren und so über die bloße Selbstbezüglichkeit des tänzerischen Schrittmaterials hinausweisen, bedienen sich eines Gestus des „Tuns“, des „Machens“, was die Kunst mitunter recht banal aussehen läßt. Am Ende seines halbstündigen Stücks „Scanning“ dreht Benoit Izard das Mikrophon, in das er zuvor seine Begierden geflüstert hatte, einfach um, als seien wir nun an er Reihe, uns etwas zu wünschen. Danach geht er zum Fenster, öffnet es und blickt hinaus in die Stadt.

Izard, der zuletzt in Jérôme Bels Stück „The Show Must Go On“ zu sehen war, nimmt momenthaft und ausschnitthaft verschiedene Identitäten an. Sein Repertoire ist dabei freilich limitiert. Wie Sharifis Stück ist auch „Scanning“ einfach gestrickt und gebaut. Phasen am Mikrophon wechseln sich ab mit kleinen Tanzsequenzen, in denen sein Körper wild zuckt, die Hüfte rotiert, bevor er rückwärts auf den Boden geschleudert wird. Zu Kylie Minogues Discohit „Spinning Around“ hüpft er ausgelassen und breit grinsend auf und ab. Ein Film, in dessen Lichtkegel er versteinert stehen bleibt, zeigt ihn bettelnd auf der Straße mit einem Schild „I am a Woman in Love. Please help me“. Und Barbra Streisand singt dazu. Vor jedem Tanz legt er sein Hemd ab, hängt es über den Mikrophonständer und setzt auch noch seine Brille drauf, als baue er sich einen Strohmann. Zum Schluß nimmt er eine Schere, schneidet ein Loch in sein weißes T-Shirt und entblöst damit seinen Bauchnabel, den er hinter vorgehaltenem Mikrophon wild kreisen läßt. Izard taucht ein in die Welt der Nachtschwärmer, Partygänger und Kontaktsucher. Der Verdacht, daß er dabei nur Nabelschau betreibt, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Schaut man ihm dabei aber in sein großes staunendes Kindergesicht, weiß man, daß all die Wünsche fromm bleiben. Und das mach das Stückchen doch irgendwie sympathisch.