Unglück im Konjunktiv

Tanzstücke von Thomas Lehmen und Tom Plischke im Mousonturm

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Rhein-Main 16 Sep 2000German

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Mit kräftigen Kampfsportbewegungen durchmißt Thomas Lehmen die kleine Studiobühne des Mousonturms, bevor er sich auf einem der beiden Stühle niederläßt, die hinten links und rechts neben dem Tisch stehen. Auf dem Tisch liegen ordentlich vor einem Verstärker aufgereiht sieben Mikrophone. Nervös öffnet und schließt Lehmen seine Beine und starrt dabei ins Publikum. Plötzlich springt er auf und verrückt den Tisch, so daß ein schrilles Feedback-Geräusch entsteht. Er setzt sich wieder und fängt an, aus seinen Notizen vorzulesen, die nur aus verworfenen Ideen für Aufführungen bestehen, die entweder zu alt, nicht gut genug oder zu teuer waren, um realisiert zu werden. „Distanzlos“ besteht nur in der Möglichkeitsform, von deren Unmöglichkeit Lehmen ab und zu mal eine kurze Kostprobe gibt. Er steckt sich ein Mikro in den Mund und robbt über den Boden. Er schippt einen imaginäen Sandhaufen von links nach rechts, oder er spielt ganz einfach toter Mann- Jedesmal wenn er eine Idee vorgetragen hat, legt er ein Mikrophon auf den Boden. Vor unseren Augen entsteht so ein kleines Netzwerk aus Spuren, die Äderchen im Körper der Tanz- und Performancegeschichte, die Lehmen auch als Geschichte behandelt. Er spielt mit den Versatzstücken vergangener Avantgarden im vollen Bewußtsein, daß sich viele der radikalen Experimente heute gründlich erledigt haben.

„Distanzlos“ ist eine doppelbödige Tanzperformance im Konjunktiv, eine Probebohrung ins Versuchsfeld, die geschickt die heutigen Probleme des Tanzes auf den Punkt bringt. Wie kann man mit Bewegung heute noch Emotionen darstellen, wenn die tänzerischen Formen dafür längst zum wohlfeilen und marktfreundlichen Klischee geworden sind? Der Körper ist längst zum Werbeträger Nummer Eins geworden. Gerade deshalb muß sich der Tanz heute sehr genau darüber bewußt sein, wie er ihn einsetzt. Inmitten all der Fragen unterläuft ihm auch eine Antwort. Denn natürlich sehen wir eine Performance, die intensiv, spannend und witzig, reflektiert und vor allem ehrlich ist. Am Ende wagt Lehmen den Versuch, den Vergeblichkeiten etwas entgegenzusetzen, ein Versuch jedoch, der zumindest im Moment noch als Tanz und Bewegung scheitern muß, weil es nach all den Experimenten noch keine stimmige Form für ihn gibt, die ihrerseits nicht schon wieder epigonal und damit vergeblich wäre. Lehmen erzählt nämlich einfach eine Geschichte. Es ist die Geschichte eines Grubenunglücks im Ruhrpott, Lehmens Heimat, bei dem fünf Bergleute durch die Intervention eines alten Kumpels noch gerettet werden konnten als die Suche längst eingestellt war. Sie handelt vom Vertrauen in die Solidarität der Gemeinschaft und spricht von der Sehnsucht nach Verbindlichkeit, in einer Zeit, wo alles zitierbar, austauschbar und benutzbar scheint. Wie deren Äquivalent auf der Bühne aussehen könnte, hat Thomas Lehmen auf sympathische Weise zumindest angedeutet.

Tom Plischke vesucht in seinem Solo „L’homme à sortir avec son corps“, der Mann, der mit seinem Körper spazieren geht oder auch der Mann, der aus seiner Haut fährt, eine Verbindlichkeit zwischen Bühne und Zuschauerraum über seinen Körper herzustellen. Er zeigt vier klar voneinander getrennte Bilder, deren Rahmen er jeweils selbst einstellt, indem er drei große Scheinwerfer auf der Bühne verrückt. Durch Wiederholung der Bewegungungen bis zur physischen Erschöpfung brennen sich Plischkes mitunter unangenehm gewalttätige Körperbilder regelrecht in unsere Körper ein. Ein Mann ohne Arme schüttelt minutenlang orientierungslos den Kopf, die Ärmel seiner Jacke baumeln dabei beunruhigend an seinem Oberkörper. Zu Frohsinnsmusik schreitet Plischke im Stechschritt vor und zurück. Mit einem Mikro reibt er auf seinem nackten Bauch herum, schabt die Haut ab, bis ein roter Kreis um seinen Bauchnabel entsteht. Schließlich schlägt er mit einem ausgestreckten Arm immer wieder auf einen kleinen Metalltisch ein daß es nur so kracht. verwendet Auszüge aus Antonin Artauds Hörstück „Pour en finir avec dieu“, das mit der körperlichen Dimension der Stimme in Form von eigentümlichen Lauten spielt. Es handelt von allen nur erdenklichen körperlichen Funktionen, die Tom Plischke in faszinierende Skizzen über Grausamkeit verwandelt.